Christoph Wenzel | GWK-Förderpreis
2012
*1979 in Hamm
Studium der Germanistik und Anglistik.
"Es war gewesen:" Diese Worte, die den Gedichtzyklus
"das schwarzbuch die farbfotos" eröffnen, könnten,
im Plusquamperfekt der Vorvergangenheit, oder modifiziert, im
Präteritum der einfachen Vergangenheit über allen
Gedichten von Christoph Wenzels Band „weg vom fenster“
stehen. Mit dessen Manuskript, in dem der genannte Zyklus übers
Ruhrgebiet als Kohlerevier eine zentrale Rolle spielt, hatte
sich der 1979 in Hamm geborene Lyriker um den GWK-Literaturpreis
beworben. Christoph Wenzels Gedichte werfen Schlaglichter in
die Wirklichkeit, die selbst erlebte und die ihm in Erzählungen
vermittelte, "lichtbilder" sind es aus dem Schwarz
des längst Vergangenen, des Gehörten, des Fremden,
"licht-bilder" ins Dunkel der Erinnerung und des Nichtverstandenen
hinein. Der Lyriker schreibt kurze, zugängliche Gedichte,
die welthaltig und zugleich persönlich sind. Die Texte
thematisieren Alltägliches, auch aus der alltäglichen
Sprache, in Deutschland, im Ausland, im westfälischen Kohlenpott,
Christoph Wenzels Herkunftslandschaft. Wer dort lebte, erkennt,
was in den Ruhrpott-Texten vorkommt, sofort wieder: gebräuchliche
Dinge, typische Situationen, Charaktere, Redeweisen, Dialektvokabeln
und Bergbauterminologie. Als denen, um die es geht, zugehörig
situiert sich das lyrische Ich, das "ich" tatsächlich
niemals sagt. Nicht Außenseiter und Einsamer ist es, sondern
teilnehmender Beobachter, der sich, nicht ohne Humor, zum Man
und zum Wir seiner Texte in der Haltung reflektierter und zurückgenommener
Subjektivität bekennt. Stellvertretend und objektivierend
erinnert Christoph Wenzel in "das schwarzbuch die farbfotos"
eine untergegangene Gemeinschaft, eine unschöne und harte,
düstere und ungesunde Welt, die für Tausende dennoch
Heimat bedeutete. Diese scheint, ohne nostalgischen Glanz und
ideologische Klischeehaftigkeit, auf: Was sie besprechen, evozieren
die Gedichte. Sie öffnen die Welt, von der sie handeln,
für die Imagination und das Verstehen der Lesenden in einer
Frische und Farbigkeit, dass sie in ihnen lebendig gegenwärtig
ist. Dabei waschen die Texte das, was sie erinnern – inneres
Bild, Foto, der Lesenden werden lassen –, weder sauber
noch rein. Das liegt an der Nüchternheit der Sprache, die
auf das Notwendigste reduziert und konzentriert ist, an der
klugen Auswahl der Realitätsfragmente, auch der dialektalen,
und den präzisen Beobachtungen, die in die Texte Eingang
fanden, an ihrem unterkühlten, zum Teil ironisch gebrochenen
Alltagspathos, an den geschickten Spielen mit der Sprache und
dem Zeilenbruch, am Rhythmus und dem sehr eigenen Ton der freien
Verse. Christoph Wenzels Gedichte "entwickeln" –
der Lyriker gebraucht die Bildwelt der Fotografie wiederholt
poetologisch, zur metaphorischen Reflektion seines lyrischen
Tuns – Bilder der Welt, in der wir leben, Interpretationen
gelebten Lebens, sei’s das der Gegenwart oder der Vergangenheit,
die zu etwas taugen: zum besseren Verstehen unserer Geschichte,
anderer und unsrer selbst.
Susanne Schulte
Laudatio zum GWK-Förderpreis 2012
Mitglieder der Jury zum GWK-Förderpreis Literatur 2012
waren Martin Kordic, der Lektor beim DuMont Buchverlag ist,
der freie Lektor und Herausgeber der Zeitschrift für Text
und Bild „sprachgebunden“ Jan Valk sowie der Herausgeber
der Literaturzeitschrift „Schreibheft“, Norbert
Wehr, aus Essen und Köln.