Förderpreisträger Kunst  

Katrin Wegemann | GWK-Förderpreis 2010

*1982 in Recklinghausen
2002 – 2003 Studium an der Kunstakademie Münster bei Mark Formanek, Carsten Gliese und Michael van Ofen | 2003 – 2007 Kunstakademie Düsseldorf bei Irmin Kamp und Martin Gostner | 2005 – 2006 Accademia di belle arti Lorenzo da Viterbo (Italien) | 2007 – 2008 Kunsthochschule Berlin, Meisterschülerin bei Inge Mahn und Else Gabriel

www.katrinwegemann.de

Katrin Wegemann ist Bildhauerin, ihre Werke sind "performative Skulpturen" – Skulpturen, die, anders als die gemeißelten, statischen der Tradition aus Stein oder Holz, Prozesse vollziehen in ihnen eigentümlicher Art, Langsamkeit und Konsequenz. Es sind Performances der Dauer, objektive Korrelate dessen, was niemals sichtbar wird, da es im Geist des Subjekts nur statthat: der "durée" (Bergson) und ihrer je individuellen und einzigartigen, selbst für das erlebende Ich ungreifbaren und unwiederholbaren Erlebnisse von Zeit. Die performativen Skulpturen haben metaphorische Titel, wie "Atmen" oder "Auflösen". Auch das indiziert, dass es nicht um Material und feste Formen, sondern um einen quasi-organischen Prozess, dabei aber nicht um die Nachahmung natürlicher Vorgänge oder den Gegensatz von Organisch und Künstlich geht. Vielmehr wird die Erfahrung des Atmens oder Auflösens als eine solche, die die subjektive Qualität von Zeit aus- und erfahrbar macht und die auf keinem Zeitmesser sich abbilden lässt, Thema. Die Künstlerin bildet nicht Natur ab, sondern konstruiert in Analogie zu Naturprozessen Artefakte, die sie Regeln aussetzt und aus denen sie als Individuum selbst verschwindet. Sie ist diejenige, welche die Materialien auswählt, die technischen Apparate bauen lässt und die Bedingungen definiert, unter denen sich mit einer Skulptur das tut – was sich dann eben tut. Die Performance ist dem Zufall überantwortet, auf sich allein gestellt. Das Kunstwerk als Werk ist aufgelöst und es ist frei von der Handschrift eines Autors; eine Autorhandlung im strengen Sinn einer intentionalen Aussage der Künstlerin gibt es nicht. Die aleatorischen Skulpturen sind ohne Botschaft und damit offen für die Betrachtung und die Projektionen, mithin aber die Selbst-Erfahrung derer, die ihnen gegenübertreten, geduldig ihrem Prozess sich aussetzen. Was sich durch die Arbeiten mitteilt, ist die Nicht-Mitteilbarkeit des Innren. Indem sie je verschiedene individuelle Erlebnisse ermöglichen, machen Katrin Wegemanns Arbeiten auch erfahrbar, dass die Qualia allen Erlebens, das Wie-etwas-sich-Anfühlt, dass die subjektive Qualität der lebendigen, meiner gelebten Zeit, nicht kommunikabel ist. Angesichts schöner artifizieller Körper, die sich verändern, sich auflösen, ineinanderfallen und -laufen, wird erkennbar, dass in der Geschiedenheit der Körper, der Verschiedenheit der Gesetze und des Zufalls, die ihre Leben charakterisieren, eben in ihrer je unterschiedlichen durée, die Grenze des Verstehens liegt. Es gibt – so kann man vermöge der performativen Skulpturen lustvoll, nicht schmerzhaft wie zumeist im richtigen Leben, erfahren – für die Kommunikation des Ich mit sich selbst und andren, es gibt für’s Verstehen keine Garantie. Das Innre entzieht sich, ist wandelbar und fragil. Verstehen ist – die politische Dimension dieser Einsicht drängt sich gerade heute, am 11. September 2010, angesichts der performativen Skulptur "Auflösen" auf, die Katrin Wegemann in Analogie zum Wirtschaftszentrum einer Metropole aus Schokolade gestaltet hat – immer eine Sache des Vertrauens und die begrenzte Zeit, die wir haben, letztlich lebendig nur als bewusst gelebte, als erfüllte Dauer, für die der Kunstgenuss Paradigma oder aber Stimulans ist und Vorgeschmack, so süß und duftend wie weiße Schokolade.
Susanne Schulte
Laudatio zum GWK-Förderpreis 2010


 

 

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