Förderpreisträger Literatur  

Kevin Vennemann | GWK-Förderpreis 2006

*1977 in Dorsten, lebt in Brooklyn/New York
Studium u.a. der Neueren Deutschen Literatur und Neuesten Geschichte in Köln, Innsbruck, Wien, Berlin | seit 2009 Doktorand in New York

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In mythischer, ganz und gar bedrängender Gegenwärtigkeit stellt Kevin Vennemann in seinem Romanerstling "Nahe Jedenew" das fiktive Geschehen um die Ermordung einer jüdischen Tierarztfamilie durch ihre katholischen Nachbarn kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen im Zweiten Weltkrieg dar. Erzählt wird konsequent subjektiv, aus der Perspektive der Todesangst, eines naiv gebrochenen Entsetzens. Die junge Erzählerin hat sich in einem Baumhaus versteckt und beobachtet, wie die Nachbarn bei ihr zuhause morden und brandschatzen; zwischendurch erinnert sie sich an das Leben und die Geschichten in ihrer Familie vor der nationalsozialistischen Wende. Kevin Vennemann schreibt den Bewusstseinsstrom seiner Protagonistin und zieht die Lesenden tief in ihn hinein. Seine Prosa lebt durch die Sprache, einen originären, hochmusikalischen Vennemann-Sound, in dem die Bedrohung Wirklichkeit wird, der Unmittelbarkeit erzeugt und elektrisiert, aber das Grauen ästhetisch zugleich aufhebt. Kevin Vennemanns Prosa lebt aus der Radikalität ihrer Form. Zu einer einzigen, spannungsgeladenen inneren Gegenwart ver-zahnt der Autor in kunstvoll sequenzierten Schnitten äußeres und erinnertes Geschehen. Häufig hat letzteres Gesagtes, Erzähltes zum Inhalt. Der Roman macht das Fluchtpotential, aber auch die mythen-, identitäts- und wirklichkeitsstiftende Macht des Sagens sowie des Erzählens erlebbar. Zugleich stellt er den Verdacht, den das Lektürerlebnis provoziert, und seine ethischen Implikationen für alles Sprechen zur Diskussion: dass sich in den Handlungen wie Sprechhandlungen nahe Jedenew anthropologische und mythologische Muster manifestieren.
Susanne Schulte
Laudatio zum GWK-Förderpreis 2006


 

 

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