Förderpreisträger Kunst  

Johanna Reich | GWK-Förderpreis 2010

*1977 in Minden, lebt in Köln
2000 Studium an der Kunstakademie Münster bei Andreas Köpnick und Peter Schumbrutzki | 2003 Gaststudium an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg bei Gerd Roscher und Wim Wenders | 2005 Studium an der Facultat de Belles Arts Barcelona | seit 2007 Postgraduierten Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln

www.johannareich.com

Johanna Reich ist Medienkünstlerin in einem doppelten Sinn: sie arbeitet im Medium "Video" (der Name kommt bekanntlich von lateinisch "video", 'ich sehe') und sie thematisiert dieses Medium – Videokamera und Projektor sowie den Prozess der Bildproduktion im künstlichen "Organ" und das Sehen des menschlichen Auges – in ihren Arbeiten. Vor der Kamera inszeniert sie Performances ausschließlich für die Kamera als Experimente mit der Kamera. Es sind Untersuchungen nicht nur der Bilder, die der Apparat dabei macht, sondern auch der technischen Voraussetzungen des Aufgenommenen, der Hardware, ihrer Möglichkeiten und Tücken. Dabei treibt die Künstlerin die optische Differenzierungsfähigkeit der Kamera ins Extrem und traktiert den Filmapparat selbst mitunter physisch auch über die Grenze seiner Belastbarkeit hinaus, bis hin zu seiner Zerstörung. In ihren sog. "Video-" und "Lichtmalereien" hat Johanna Reich mit Farbe, mit Schnee oder Licht vor laufender Kamera gemalt und zwar so, dass sie, als sie sich vor das Gemalte stellt, optisch im Videobild verschwindet. Die Kamera kann, da die Künstlerin exakt in den Farben des Bildes, das sie malt, gekleidet ist, zwischen dem Gemalten und der Malerin nicht unterscheiden. Johanna Reich hat die Umgebung sich selber angepasst, doch im Videobild etwa von "black hole" oder "monument" geht nicht die Welt im Subjekt auf, sondern die Handelnde in ihrem Bild unter. In "The State of Crystal" liegt die Kamera um 180 Grad gedreht in einer Pfütze. Entstanden sind wunderschöne "Tafel-" und "Spiegelbilder", die zunächst stillstehn wie kristallisiert, bewegt werden aber in einem Akt ihrer Zerstörung, wenn eine Person in die Pfütze läuft, Bild und Kamera zuspritzt. Wer die Projektion anschaut, versucht das Bild zu retten – in seinem Kopf: und nimmt erst jetzt den Kopfstand des Tafelbilds an der Wand wahr. Was mit der Kamera und ihren Bildern passiert, ist zugleich Folge und Metapher menschlichen Sehens und Wahrnehmens. Täuscht unsere biologische Hardware nicht auch? Ironisch mit unserer Sehnsucht nach schönen Bildern spielend, macht Johanna Reich die Scheinhaftigkeit der Bilder, die wir sehen, bewusst. So wenig wie die Kamera Realität realistisch abbildet, ist das Auge ein objektives Objektiv, das die Wirklichkeit zeigt, wie sie ist. Johanna Reich macht Bilder über's Bildermachen, die als ästhetisches Spiel erleben lassen, dass jedes Bild, auch das natürliche des Auges, nicht einfach ein Abbild ist, das entsteht, sondern Interpretation, die gemacht ist. Philosophisch gesprochen, inszeniert sie die transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit der Wahrnehmung; naturwissenschaftlich gesagt: sie macht erfahrbar, dass unser Gehirn, nicht das Auge sieht. Überraschend, mit Witz und mit Pfiff setzen die Video-Arbeiten das Vidéo ins Bild. Johanna Reich lässt Sekundärbilder laufen, die Skepsis schüren gegenüber unserem Primärsinn, dem Sehen, wie gegenüber sich selbst und allen andren artifiziellen Bildern. Die Kritik aber dominiert die Faszination, die Lust am Spiel mit dem Bild, das niemals Abbild ist, dennoch die Bedingungen menschlicher Existenz gewaltfrei erforscht und sich an ihnen erfreut.
Susanne Schulte
Laudatio zum GWK-Förderpreis 2010


 

 

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