Henrik
Pohl
*1988 Lemgo
2010 bis 2014 Studium der Kulturwissenschaften an der Viadrina-Universität
Frankfurt/Oder, 2011/12 an der Galatasaray Üniversitesi
Istanbul
2015 bis 2017 kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an
der Stiftung Universität Hildesheim,
seit 2017 Literarisches Schreiben.
"Weitab" ist der Auszug aus dem Manuskript seines
Debütromans überschrieben, für den Henrik Pohl
ausgezeichnet wird. Sein Thema: Selbstverständigung und
Revolte eines Adoleszenten, des Ich-Erzählers, und die
Funktion des Schreibens in diesem Prozess. Situiert ist die
Erzählung in der Sphäre von Seefahrt und Nautik, im
Umfeld und Denkraum von Fluss, Meer und Quelle und Hafen.
Weitab von der Stadtgesellschaft, in einem verfallenden Industriehafen,
lebt Pohls Ich-Erzähler mit seinem Vater, einem zertifizierten
Abrichter von Gebrauchshunden, der all seine Frauen verlor,
und einem Wasserschutzpolizisten. Weitab steht der Heranwachsende
innerlich von den einsamen, lieb- und sprachlosen Männern,
die ihn, in ihrer Maskulinität offensichtlich sicher, zum
Mann erziehen wollen.
Dieses Milieu zu verlassen, zur See oder übers Meer zu
fahren, bereitet der Junge sich vor: beobachtend, recherchierend,
notierend, vor allem durch sein Erzählen.
Prominent und explizit, gleich zu Beginn von "weitab",
führt er sich selbst als Leser von Fachliteratur zu Nautik,
Seefahrtsgeschichte und von Seefahrtsgeschichten sowie als Schriftsteller
mit hohem Form-Bewusstsein ein - als reflektierter Ich-Erzähler,
dem sein Schreiben, die Erzählung, die wir vor uns haben,
das Medium seines Projekts der Selbstfindung ist.
"Weitab" ist die Erzählung seines bisherigen
Lebens, die es an seine Quelle führen soll und die der
Protagonist an die anspruchsvolle Erzählform bindet, die
er darin für sich (er)findet: Er will ein "Logbuch"
in Form eines bewegt-wilden Flusses schreiben, der die Farbe
urban turquoise hat.
So geht er in seinem Schreiben nicht einfach auf und unter,
sondern steht immer zugleich über, weitab von ihm und kann
sich - realisiert er das poetologische Programm, das er zu Beginn
seines Textes in dem programmatischen Denkbild aufruft - in
seiner Erzählung tatsächlich als Dichter erweisen.
Ob sein Autor, Henrik Pohl, dies Gelingen zu- oder seinen Protagonisten
scheitern lässt, ist im Manuskriptauszug nicht absehbar.Klar
erkennbar allerdings wird in seinem Romanauszug der Romancier
Henrik Pohl: als virtuoser und reflektierter, belesener und
tiefgründiger Dichter auf der Höhe unserer Zeit."Weitab"
fasziniert in seiner Artifizialität, der Text berührt
emotional und fordert intellektuell heraus: durch seine nicht
lineare Zeitstruktur, die mitunter wuchernde Form, den Wechsel
von Erzählfluss und -stagnation, die fremde Bildlichkeit,
die metaphorische Dichte und Mehrschichtigkeit einzelner Szenen,
die Integration unterschiedlicher Textsorten, von Zitaten und
Anspielungen, die pointierte Reduktion des Erzählten auf
das Wesentliche.
Nichts ist hier willkürlich, jedes Moment unterliegt einer
minutiösen künstlerischen Entscheidung, doch wirkt
die Komposition dann vollkommen ungekünstelt, natürlich.
Und jeder Satz ist, wie jeder Textabschnitt auch, rhythmisch
und klanglich durchkomponiert, so dass ein eigener Pohl-Sound
entsteht, der "das gewisse Etwas" hat, das nicht fassbar
ist."Weitab" geht unter die Haut, der Text wird durchlässig
auf etwas Ungreifbares, Größeres, das anders vielleicht
nicht sag- und erfahrbar wäre.
Er erzählt überdies, wie Lesen und Schreiben ein wichtiges
Moment jeder Selbstbestimmung sein kann - und bzw. oder aber
die Genese eines Jungen zum Dichter. Denn noch ist auf diesen
wenigen Manuskriptseiten offen, was der Erzähler am Ende
sein wird: ein "hoffnungsloser Romantiker", der aus
einem tristen Alltag in die Lektüre maritimer Abenteuer
von Seeschlachten und Piratinnen flieht; ein echter Matrose
oder Kapitän, der mitten im Leben steht; ein unauffälliger
Städter mit bürgerlichem Beruf; ein Mann, der weiß,
wo er herkommt und hoffnungsfroh weggeht, ohne noch zu wissen
wohin - oder aber ein Romancier wie Henrik Pohl, der mit einer
Erzählung wie "weitab" gegen die gesellschaftliche
Uniformität und Lieblosigkeit, gegen Disziplinierung und
Gewalt, Langeweile und Sprachlosigkeit schreibt - konzentriert
und behutsam, magisch, klug.
Susanne Schulte, GWK
Laudatio zum GWK Förderpreis 2018
JURY
Die Jury zum GWK-Förderpreis Literatur 2018 bildeten Dr.
Susan Kreller Schriftstellerin, GWK-Förderpreis 2014, Bielefeld
Dr. Stefanie Stegmann Literaturhaus Stuttgart
Dr. Mirjam Springer Westfälische Wilhelms-Universität
Münster