Sonja
vom Brocke
*1980 Hagen, lebt in Berlin
Studium der Philosophie, Anglistik und Germanistik in Köln,
Hamburg und Paris. Sie veröffentlichte die Gedichtbände
"Venice singt" (Kookbooks 2015) und "Ohne Tiere"
(H+K 2010)
Sonja vom Brocke zeichnet sich durch einen schöpferischen
Sprachgebrauch aus, der Abstraktion und Abbild, Assoziation
und Konstruktion, hohen Ton und Alltagswendung sowie Logisches
mit Verstandeswidrigem originär, kühn, suggestiv und
evokativ kombiniert. In faszinierender Fülle erfindet und
findet die Dichterin genuine Sprachbilder, die nicht die bekannte
Welt repräsentieren, sondern eine originär vom Brockesche
Welt-aus-Sprache kreieren. Die ist nicht schön, sie ist
nicht heil. Der Ton der Gedichte und Prosagedichte ist hart,
von nüchtern-kühler, mitunter schnoddrig-aggressiver
Noblesse und ganz eigen. So liegt in den rhythmisch und klanglich
klug austarierten Versen eine so zauberhafte wie ab- und erschreckende
Unfassbarkeit. Inhalt und Form der Texte sind in höchstem
Maß eins, ihr Worüber oder Wovon ist das, was sie
als ästhetische Gebilde vollziehen und bewirken. Die Begriffe
sind häufig in Unbegreifbarkeit entbunden, die Kategorie
des Sinns, wie sie uns geläufig ist, greift nicht, und
die sonst selbstverständlichen Verstehensmechanismen haken
oder sind außer kraft. Verstehen, Rationalität überhaupt,
steht in Frage und damit die natürliche Sprache als das
primäre Medium des Menschen, sich selbst und seine Welt
zu begreifen, zu begründen, zu erschaffen, sich seiner
selbst zu versichern und gegen die Unwägbarkeiten und Schrecken
der Existenz abzusichern. Das provoziert Widerstand bei der
Lektüre, oder aber es regt, auch weil die Texte unter die
Haut gehen und die Sprachbilder auf die Psyche, an, sich ihnen
lange zu widmen. Dann öffnen die Verse Sonja vom Brockes
mit den Grenzen der gewöhnlichen Sprache das Bewusstsein
auf das Unterbewusste hin und für das große Misstrauen,
eröffnen sie der Wahrnehmung das Unheimliche, Halt- und
Grundlose des Lebens, seine Un-beherrschbarkeit, seine Gewalt
und Endlichkeit. Und zugleich scheint mit dieser Wahrheit, ihrer
ästhetischen Erfahrung, im Gedicht Sonja vom Brockes ihre
Dichtung selbst sich anzubieten als das Medium, sie zumutbar
zu machen, sie nicht zu ver-, jedoch zu überstehen: „denn
seit ich die Schrecken ahnde“, heißt es in einem
unveröffentlichten Text, „fehlt mir jede Furcht //
sie scheinen lieb – oder verzwei-felt.“
Susanne Schulte, GWK
Laudatio zum GWK Förderpreis 2015
JURY
Die Jury zum GWK-Förderpreis Literatur 2015 bildeten André
Hille von der "Textmanufaktur", der Schriftsteller
und GWK-Preisträger Christoph Wenzel und die Leiterin des
Literaturhauses Leipzig, Birgit Peter.