Martin
Becker | GWK-Förderpreis 2007
*1982 in Attendorn, lebt in Leipzig und Weimar
Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig in den Fächern
Prosa und Dramatik/Neue Medien
www.martinbecker.com
Martin Beckers Stoff ist die Provinz. Als "Heimatpfleger"
und "Professor für technische Heimatkunde" bezeichnet
sich der Autor selbstironisch. Seine Texte bieten keine Abbilder
des Alltags, sind auch keine realistischen Fiktionen "eines
schönen Lebens" – so der Titel seines Debutbands
und einer Erzählung darin –, wie sie einem Normalbürger
und Ortsstabilen wohl einfielen. Martin Becker erkundet das
Leben vielmehr aus der Perspektive dessen, der weggegangen und
ein Anderer, ein existenziell Fremder, geworden ist, weil er
im "Jenseits der Metropole" wie in jenem des Meeres,
den paradigmatischen Sehnsuchtsräumen des Kleinstädters,
erfuhr, dass Provinz überall, Heimat aber nirgends ist.
Die Erzählungen präsentieren nicht das Sichtbare noch
einmal, sondern sie machen sichtbar. Und sie spielen mit dem,
was sich zeigt, betreibt man Heimatkunde mit dem fremden Blick:
existenzielle Obdachlosigkeit, der Riss in der, auch in der
eigenen, Existenz, die Lächerlichkeit und Leere des Lebens,
Tristesse und Missverstehen, Einsamkeit, Fluchten und Exzesse,
Hoffnung und Sehnsüchte, Irrtum, Betrug – ein großes,
unaufhörliches Scheitern. "Ein schönes Leben"
versammelt lakonische Grotesken aus dem Geist der Absurdität,
der hier allerdings auch einer des Mitgefühls und der Liebe
ist zu dem, was ist. Diese Texte denunzieren nicht, führen
niemanden vor und färben nicht schön, weil der Autor
sich dem zugehörig fühlt, dem er nicht mehr zugehören
kann. Martin Beckers Erzählungen sind ambivalente Erkundungen
von Heimat. Deshalb machen sie lachen und machen sie trüb.
Doch für Momente heben sie so das Gewicht der Existenz
auf im kalkulierten ästhetischen Spiel mit ihr. Gegen die
Tristesse des Nicht-Orts "Heimat" spielen sie ihre
Ambivalenz sowie ihre Fabulier- und Sprechlust auf, aus einem
Letztvertrauen in ein absurdes Sprechen, das endlich das hervorbringt,
was realiter anders nicht ist: Heimat – als Text.
Susanne Schulte
Laudatio zum GWK-Förderpreis 2007