Lukas
Zerbst
*1988 Bydgoszcz, aufgew. in Lübbecke
2010 bis 2018 Studium Digitale Medien,
dann Freie Kunst bei Prof. Jean-François Guiton,
seit 2018 Meisterschüler bei Prof. Jean-François
Guiton und Jenny Kropp
"Lukas Zerbsts Arbeiten überzeugen durch ihre Originalität
und sinnliche Kraft, durch gedankliche Komplexität und
das Zugleich von physischer Direktheit und bildlicher Tiefe.
Technisch und handwerklich sind sie perfekt ausgeführt,
wobei die zumeist krude Materialität der Dinge mit Computer-Hightech
bei der Steuerung beweglicher und akustischer Elemente aufs
Beste einhergeht. Der Künstler entwickelt ortsspezifische
Installationen, auch mithilfe von Video, außerdem macht
er Live-Video-Performances und autonome Filme oder benutzt manipulierte
Alltagsgegenstände, die er in speziellen Settings präsentiert.
Seine Installationen entziehen ihren Orten die gewöhnlichen
Zwecke und transformieren sie in beeindruckende Bilder und Metaphern,
in irritierende Räume der Betrachtung und Reflexion. Einzelne
Komponenten des Interieurs - Deckenventilatoren, eine Deckenverkleidung
aus Holzpaneelen, ein freigelegtes Deckengerüst aus Aluminium
oder eine Fensterfront etwa - werden dazu
umgebaut und dysfunktionalisiert, statische Elemente des Raums
digital in Bewegung gesetzt, Videos und, ebenfalls algorithmusgesteuert,
Projektionen, markante Sound- und Lichteffekte in ihn eingebracht.
Gekonnt, mitunter ironisch, hebt der Künstler die alltägliche
Zweckhaftigkeit der Dinge auf und lässt diese agieren,
als handelten sie aus eigenem Antrieb: Reflex auch auf die zunehmende
Digitalisierung der Dingwelt?
Oder ausgewählte Gebrauchsgegenstände, Maschinen,
werden zweckentfremdet - in "Ghostriders" zwei zerfallende
Mopeds - und im Raum inszeniert als wären sie Metaphern
für menschliches Handeln: Bild misslingender, vielleicht
konfrontativ-dominanzheischender Kommunikation.
Wie seine Installationen zeigen Zerbsts Filme und Live-Video-Performances
Umdeutungen von Zweck-Räumen. Sie entstehen - z.B. in "Irrlichter
einer Begegnung" - in freier Improvisation und zeigen eine
Art Ortserkundungstanz vor der Kamera durch den Raum, der zugleich
ein kunstvoller Pas de Deux zwischen der gefilmten Person und
dem Kameramann, dem Künstler, ist. Verfolgt der Künstler
die spielerischen Bewegungen seines Motivs durch den Raum mit
extrem subjektiver Kamera, so reagiert die Person vor der Linse
während ihres Tanzes immer zugleich auch auf die Tatsache
des Gefilmtwerdens und interagiert mit dem Apparat. Damit ist
das Verhältnis von Motiv und Kamera zugleich Thema des
Films, die Frage nach der Definitionsmachts des Blickenden und
des Films über die Person, die er im Blick hat, festhält,
gestellt. Versuche des "Motivs", sich gegen die Fremdbestimmung
und Asymmetrie der Beziehung zu wehren, entsprechen dem auf
der Handlungsebene des Films, wobei der Künstler, indem
er das Material im Anschluss schneidet, über die Filmhandlung
die Hoheit behält.
In rätselhaften Handlungsabläufen und geheimnisvoll-faszinierenden
Bildern, die eine Aura (Walter Benjamin) haben und so sind,
als blickten sie ihrerseits uns, die sie betrachten, an, thematisiert
Lukas Zerbst die Dialektik des Filmens.
Mit ihr steht zugleich - man denke an die berühmten Blick-Analyse
Jean-Paul Sartres in "Das Sein und das Nichts" - die
komplexe Subjekt-Objekt-Dialektik des Blicks, die unser gesamtes
Zusammenleben bestimmt, im Raum. Der Blick kann sein Gegenüber
töten und erschaffen, anerkennen und vernichten, seine
Identität festlegen und Realität definieren. Dabei
interpretiert und bestimmt er die andern und das, was ist, nach
Maßgabe der Person, die blickt - und die sich ihrerseits
als angeblickte, als Objekt des Blickenden, erfährt.
In starken Bildern in Zerbsts Arbeiten dargestellt, ist diese
Dialektik auch auf die
Rezeptionssituation seiner Kunst selbst zu übertragen,
vor allem dann, wenn die
gefilmte Person direkt in die Kamera blickt oder an die Linse
greift. Kritisch ist bei
Lukas Zerbst somit immer auch das Verhältnis von Werk und
Betrachter thematisch.
Lukas Zerbsts Kunst öffnet Räume für etwas anderes,
Unbestimmtes, und sie macht offen für den anderen Blick,
den offenen, liebenden, der nicht feststellt und sich nicht
erhebt. Die gewisse Düsternis, die seine Arbeiten durchzieht,
mag dabei das Scheitern erinnern, dem der Versuch, der Subjekt-Objekt-Dialektik
und ihrer Hierarchie zu entkommen, letztlich wohl unterliegt.
Das ist wahrscheinlich mit unsrer Konstitution gegeben. Doch
die Anstrengung ist nicht vergeblich, sie zählt.
Susanne Schulte, GWK
Laudatio zum GWK Förderpreis 2018
JURY
Die Jury zum GWK-Förderpreis Kunst 2018 bildeten Kristina
Berning Künstlerin, GWK-Förderpreis 2011, Berlin,
Dr. Stephan Mann Museum Goch, Dr. Corinna Otto Draiflessen Collection,
Mettingen, Dr. Hans-Jürgen Schwalm Museen der Stadt Recklinghausen,
Jan-Christoph Tonigs Kloster Bentlage, Rheine