Bettina
Marx | GWK-Förderpreis 2013
*1981 in Bonn, lebt in Düsseldorf, Studium der Freien Kunst
an der Kunstakademie Mu¨nster, Meisterschu¨lerin von
Cornelius Völker, Gaststudium an der Kunstakademie Düsseldorf
in der Klasse von Peter Doig
www.bettinamarx.de
www.nirgendsland.eu
Bettina Marx ist Malerin. Doch sie malt nicht nur Bilder, die
man, ganz traditionell, an die Wand hängt und betrachtet,
indem man den fest umrissenen, viereckigen Flächen gegenüber
steht; sie verwandelt vielmehr, mit dem und aus dem Malmaterial
heraus, vorgefundene Räume in berückend fremde Orte,
die, wer mag, betreten, in die man physisch und geistig-seelisch
eintreten kann. Es sind dreidimensionale Bilder, Bild-Orte als
offene Bild-Welten, die Bettina Marx erschafft. Sie bewegen
jene, die sich in ihnen bewegen, wundersam, und sie bewegen
den Bildbegriff: Sie öffnen.
Die Künstlerin malt und zeichnet Bilder, mit Acryl und
Tusche, Blei- und Buntstift, Grafit- und Farbpigmenten, mit
Kugelschreiber, Kreide oder Edding. Sie malt und zeichnet auf
Leinwände, Holzkästen und Papiere im DIN-Format wie
auch auf ‚profane‘, einfache, nicht für den
separierten Lebensbereich „Kunst“ erfundene Bildgründe:
Pappen, Tapeten, ihre Rück- und Vorderseiten, auf Reistapeten
und Seidenpapier oder direkt auf die Wände und Böden
eines Ausstellungsorts. Ihre Maltechniken sind einfach: neben
dem traditionellen Farbauftrag mit dem Pinsel gibt es z.B. Schüttungen,
Frottagen, Abdrücke, Collagen.
Die so entstandenen Bilder sind, trotz mitunter auftauchenden
figuralen Elementen, abstrakt und poetisch, nicht lesbar im
Sinn von Bedeutungszuweisung, flottem Verstehn. Sie befremden
und verwundern, fordern das Schauen und die Imagination, provozieren
Interpretation. Für die weit gereiste Malerin selbst bergen
sie Erinnerungen an nahe und ferne Orte – subjektiv, radikal.
Das ist keine Haltung des Verschließens, Bettina Marx‘
Malerei ist alles andre als hermetisch. Sie bezaubert vielmehr
in ihrer schieren Präsenz und schließt zuerst die
Fantasie der Betrachtenden auf, zieht diese ins Bild hinein
und öffnet sie im Erlebnis des Bildes auch für eine
neue Erfahrung von sich selbst.
Bettina Marx malt Bilder im Atelier, zum einen. Diese sind autonome
Kunstwerke. Zum andren arbeitet sie untraditionell vor Ort,
am Ausstellungsort, als Malerin und installativ. Ihre Atelierbilder
macht sie zu Elementen umfangreicher Rauminstallationen, die
sie aus dem Material des Malers in einfacher Technik bastelt:
gebrauchten Keilrahmen, Rollen mit Papier, Brettern etc. Als
Teil einer Installation bezieht sich ein Bild zusätzlich
auf den Ort, an dessen Wänden es ‚irgendwo‘
konventionell hängen oder unkonventionell stehen, auf dessen
Boden es liegen kann. Dabei verliert das Atelierbild seine Eigenständigkeit
nicht, sondern es gewinnt im Gegenzug hinzu: neue Konnotationen,
einen anderen Horizont, Möglichkeiten für die Imagination
der Betrachter.
Den jeweiligen Ort selbst bestimmt die Malerin, mal enger, mal
weiter, als den unmittelbaren Präsentationsraum oder als
diesen in seinem städtisch-landschaftlichen Kontext –
wie etwa in ihrer GWK-Ausstellung im Kunstverein Arnsberg. Und
sie lässt sich von diesem Ort inspirierten. Einzelbilder,
die im Vorfeld einer Ausstellung, wie in Arnsberg, entstehen,
antworten möglicherweise auf konkrete Elemente und atmosphärische
Momente vor Ort, wiederum nicht in simpler Abbildung, sondern
subjektiv übersetzt, für andere aber nachvollzieh-
und aus-denkbar, ‚auszumalen‘ qua Imagination. Oder
Wand und Boden sind selbst Bildträger und in Teilen Bildmoment,
wenn die Künstlerin direkt auf sie malt, die Ränder
des Bildes dabei nicht scharf definiert, sondern öffnet
in den Raum, und wenn sie in das Wand-Boden-Bild selbst noch
kleinere Atelierbilder oder Bilder auf ausgerollten Tapetenrollen
hängt, deren Unterteil auf dem Boden liegt. Oder es werden
Eigenschaften und Objekte des Ortes zu Bildelementen nobilitiert,
indem Bettina Marx sie durch die Anordnung ihrer Bilder, durch
Lattengerüste und so etwas wie Rahmen, die sie aus gebrauchten
Keilrahmen zusammenschraubt und in den Raum stellt, in einen
cadrierten Blick rückt. Das können ‚malerische‘
Schäden in der Wand, Fenster oder ein Teppich, der Holzfußboden,
ein Türrahmen oder, in Arnsberg, etwa die Raufasertapete
sein. Sie ist das Material der großen Frottagen, die jetzt
vor den Raufaserwänden hängen und die Spuren vergangener
Ausstellungen lesen lassen; in ein anderes frottiertes Monumentalbild
auf einer Raufaserwand nimmt die Künstlerin das Lichtspiel
des Sonnenuntergangs durch das Fenster daneben und die Berge
und Wälder des Sauerlands hinein.
Bettina Marx malt autonome Bilder, öffnet diese auf Räume
und verwandelt mit ihnen, mit strikt ortsbezogener Malerei,
mit Bastelmaterialien aus dem Reich des Malers und lokalen ‚objets
trouvés‘ Orte in Bilder, die man begehen kann,
in Bild-Orte. Es sind Provisorien, Collagen, Bricollagen, so
ephemer und grenzenlos, so phantasievoll und kompliziert-einfach
wie das Leben selbst – Bild-Welten, die verführen,
den Blick zu öffnen, die bewegen, den Blick-, den Standpunkt
zu wechseln: Das feste Weltbild? Etwas tut sich auf am Bild-Ort,
am Kunstort: die Welt als Möglichkeitsraum, lustbesetzt.
Laudatio zum GWK-Förderpreis Kunst 2103
Susanne Schulte, Arnsberg, am 29. September 2013
Die Jury des GWK-Kunstpreises 2013 bildeten Dr. Julia Draganovic,
Leiterin von LaRete Art Projects in Modena (Italien) und New
York, die Berliner Malerin Paula Müller, GWK-Förderpreisträgerin
des Jahres 2009, der Künstler und Kurator des Kunstvereins
Arnsberg, Vlado Velkov aus Berlin, die Kuratorin Susanne Kleine
von der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD in Bonn, und Kristina
Scepanski, Direktorin des Westfälischen Kunstvereins aus
Münster. Die GWK-Förderpreise für Musik, Literatur
und bildende Kunst wurden am 29. September 2013 in Arnsberg
verliehen.