VERANSTALTUNGEN  
 

wer weiß wohin
literarisch und musikalisch unterwegs

KonzertLesungen im LWL-Landesmuseum
für Kunst und Kulturgeschichte, Münster

Veranstalter: LWL, GWK

LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte
Domplatz 10
48143 Münster

Tel.: 0251 / 5907-01

Eintrittskarten: 14 Euro, erm.: 10 Euro

„Punkte, die Noten sind, mit einem Bogenstrich zu Klang verklärt! Ich habe Musiker erlebt, die in die Noten starrten wie in eine Baugrube. Und andere, die sie lasen wie Landkarten, Seekarten, Sternenkarten. Dabei geschieht es dann, unsere Träume gehen an Land, stechen in See, greifen in den Himmel. Es gibt jeden Abend, überall auf der Welt, Konzerte, die nichts bieten als gewaschene, gebügelte, schrankfertige Musik, Geraschel zwischen Bogen und Saite, kleinliches Schaben. Aber es gibt diese Abende der Offenbarung unerklärlich vollkommener Musik".    Wolf Wondratschek

Noten – lesbar wie Landkarten, Seekarten, Sternenkarten. Noten, die Kosmos werden. Wer Musik hört, wer ihr zuhört, reist.

Texte – lesbar wie Länder, Meere, Sterne und Planeten. Texte, die Welt werden. Wer Dichtung hört, wer ihr lauscht, reist.

Welten entstehen und vergehen, Reisen geschieht zuallererst und zuletzt im Kopf: in der Sehnsucht nach der Fremde, in der Begegnung mit dem Fremden als etwas Fremdem, in der Erinnerung ans Erlebte, in seiner Reflexion und erzählerischen Gestaltung.

Mitzureisen in andere Welten lädt "wer weiß wohin. literarisch und musikalisch unterwegs" in vier KonzertLesungen mit renommierten Autoren und internationalen Musikern ein.

"wer weiß wohin" wurde von der GWK konzipiert und in Kooperation mit dem Landesmuseum aus Anlass der Jubiläumsausstellung "Orte der Sehnsucht. Mit Künstlern auf Reisen" (28.09.2008 – 11.01.2009) im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster realisiert. Die KonzertLesungen werden von Susanne Schulte, GWK, moderiert.

Die Reihe wird von der NRW.BANK und von WestLotto unterstützt.

 
 
   
 


Donnerstag, 16. Oktober 2008, 20 Uhr

Weltensammler

Ilija Trojanow liest aus "Der Weltensammler" und
"Nomade auf vier Kontinenten"

Ensemble Sarband mit traditionellen Frauengesängen der Levante
Miriam Andersén (Stimme, Kuhhorn, Harfe), Fadia el-Hage (Stimme), Vladimir Ivanoff (Perkussion, Ud, musikalische Leitung).

"Er beließ es nicht dabei, die Fremde zu beobachten. Er wollte an ihr teilnehmen. Er war ihr verfallen, so sehr, daß er sie sogar bewahren wollte in ihrem zurückgebliebenen Zustand. Dieser Burton wollte die Fremde sich selbst überlassen, weil die Besserung der Fremde ihre Auslöschung bedeuten würde."

Reisender, Abenteurer, Soldat des britischen Weltreichs, doch kein Imperialist. In der Fremde will er zu den Fremden gehören: erfahrungsgierig, ein Sprachgenie. Diplomat, Anthropologe, Geograph – und Spion. Verliebt ist er in die Vielfalt der Kulturen, ins Fremd-Sprechen in 30 Sprachen, ins Sich-Verkleiden, bis die Maske Gesicht wird. Geschichtenerzähler und Übersetzer, als erster ins Englische: des "Kamasutra". Dichterdilettant. Drogenkonsument. Aufklärer und Häretiker, Provokateur, der zum Islam konvertiert. Büchernarr. Ein Melancholiker, voller Selbstzweifel und Widersprüche, der die Langeweile, den Chauvinismus und die Heuchelei, der den Universalismus des viktorianischen Englands hasst: Der britische Offizier Sir Richard Francis Burton (1821–1890) ist einer der größten Exzentriker des 19. Jahrhunderts und Held von Ilija Trojanows Roman "Der Weltensammler". Für seinen Roman hat Trojanow sieben Jahre lang auf den Spuren Burtons in Indien, Arabien, Afrika und Nordamerika recherchiert. In „Nomade auf vier Kontinenten“ schließt er seine Reisen erzählerisch-essayistisch kurz mit den Erlebnissen seines Protagonisten: "Nur in Bewegung, auf Reisen, war er glücklich."

"Sarband" ist persisch für "Verbindung". Mit Ilija Trojanow setzt das renommierte Ensemble Sarband über in fremde Kulturen – und in alten und traditionellen Frauengesängen des Mittelmeerraums, der Levante seinem Protagonisten, dem Supermacho Burton, ein fremdes Weibliches entgegen.

 
 

 
 


Donnerstag, 06. November 2008, 20 Uhr

Das Tor zur anderen Welt

Drago Jancar und Ludwig Hartinger
Katharina, der Pfau und der Jesuit

Nel Dolce. Das Kölner Barockensemble
mit Werken von Telemann, Händel, Ariosti und Fasch

„Wenn sich der Mensch öffnet, im Freien, unter den Sternen in einem fremden Land, ändert er sich, versucht er sich zu ändern, unter solchen Umständen ist das eine Konversion, die Reise zu den Drei Weisen in Kelmorajn ist eine Bekehrung, für einige die Auferstehung schlechthin.“

In Massen wallfahrn Slowenen im 18. Jh. zum Goldenen Schrein nach Köln. Pilger, vom Verlangen nach Erlösung gedrängt, von der Sehnsucht, ein anderer zu werden, Menschen, die auch die Begierde nach Welt, Lust auf das geheimnisvolle Fremde, die Erfahrungshunger und Eros und der Traum von der Liebe treibt. War die Sehnsucht je größer als im Barock? Lag das menschliche Herz in seinen Widersprüchen, gespannt zwischen Himmel und Hölle, je offener? Drago Jancar, Weltautor aus Slowenien, mit internationalen Preisen bedacht und in mehr als 30 Sprachen übersetzt, malt mit "Katharina, der Pfau und der Jesuit" ein zeitenübergreifendes Panorama der menschlichen Seele: Katharina, Tochter eines krainischen Gutsverwalters, schließt sich den Kelmorajn-Wallfahrern an, kommt auf ihrem Weg durch Münster, zum Schädelschrein im Kloster Bentlage in Rheine. Mit einem zweifelnden Jesuiten erlebt sie die große Liebe – und wird zur Hure des "Pfaus", eines Hauptmanns der Artillerie, der in der Armee Maria Theresias dient und in den Krieg gegen Preußen, die lang ersehnte Schlacht von Leuthen, zieht... Die Grunderfahrung des Romans, der das Barock schildert und die „conditio humana“ trifft, finde ihr Bild, so Jancar, in "jenen Wiedertäufer-Käfigen, die ich auf einer meiner Lesereisen durch Deutschland an einem Kirchturm in Münster aufgehängt sah".

Erfrischend virtuos und mit ansteckender Musizierfreude kommentiert das international gastierende Kölner Barockensemble Nel Dolce mit Alban Peters (Oboe), Stephanie Buyken (Blockflöte), Philipp Spätling (Cembalo, Blockflöte), Sabine König (Violine) und Harm Meiners (Violoncello) die zweisprachige Lesung Drago Jancars und des Übersetzers Ludwig Hartinger (Salzburg/Ljubljana).

 
 
   
 

Donnerstag, 20. November 2008, 20 Uhr

Sehnsucht nach Kometen

Marion Poschmann
Schwarzweißroman

Signum Quartett
Dmitri Schostakowitsch: Streichquartett Nr. 7, Streichquartett Nr. 9, Elegie

"Unsicher, mechanisch, versuchte ich mich in das System einzupassen, Gefühlen den richtigen Ort zu geben, die Regeln zu verstehen, nach denen hier empfunden wurde. Die Weite, die Eintönigkeit nagte an mir und erzeugte einen Sog ins Nichts, man ging einkaufen in der Hoffnung, dagegen anzukämpfen, vielleicht jemanden zu treffen, den man kannte."

Das größte Stahlwerk der Welt inmitten einer Wüste aus Schnee, gigantomanische Waffenschmiede, ein schwarzes Loch: Magnitogorsk, auf dem Reißbrett und auf zwei Erdteilen entstanden, Stadt der Superlative, ein Zentrum sowjetischer Utopie und Macht. Tscheljabinsk, verbotener Ort, hinter Warnschildern und Stacheldraht heute, das "Tankograd", wo im Zweiten Weltkrieg die "Stalinorgeln" und T-34 Panzer gebaut wurden. Majak, kerntechnische Anlage, vor 50 Jahren havariert, schlimmer als Tschernobyl, was man bis 1993 offiziell geleugnet hat. Verstrahltes Terrain. In die Sperrzonen des Nichts tief im Ural führt Marion Poschmann (*1969, Essen) die Ich-Erzählerin, ein Ruhrgebietskind, in ihrem "Schwarzweißroman". Kurz nach ihrem Studienabschluss, in einem Biografieloch, besucht diese 1995 ihren Vater, der dort als Ingenieur arbeitet. Er hat sich verändert in der Eintönigkeit, im russischen Schlendrian, in Kälte und Schnee, genauso wie die anderen deutschen Spezialisten im Stahlwerk. Die junge Frau sucht in der radikalen Fremde sich selbst, das Geheimnis ihres Vaters und die Wende in ihrem eigenen Leben. Russland ist psychische und metaphysische und für die vielfach ausgezeichnete Autorin eine künstlerische Herausforderung: "Meine Biographie interessierte mich nicht mehr. Ich hatte Sehnsucht nach Kometen."

"Lebensdramen aus der inneren Welt" (Maris Janssons) sind die Kompositionen Dmitri Schostakowitschs (1906 – 1975). Drei packende Werke des russischen Komponisten, der ständig zwischen Angst vor Verhaftung und der Anerkennung durch das Sowjetregime lebte, führt das preisgekrönte Signum Quartett auf. Der Wille zu extremer Expression und feinste Ausdruckskunst eint Kerstin Dill und Annette Walter (Violine), Valentin Eichler (Viola) und Thomas Schmitz (Violoncello).

 
 
   
 

Donnerstag, 04. Dezember 2008, 20 Uhr

Ein höchst intimes Zwischenreich

Wolf Wondratschek
Mara

Konstantin Maanev | Violoncello
Hae-Song Jang | Klavier
Werke von Boccherini, Bach, Lachenmann, Schnittke

"Zeitgenössische Musik? Was denn, was denn! Ich stehe seit meiner Geburt im Dienste zeitgenössischer Musik. Ich bin nun fast schon drei Jahrhunderte hindurch Zeitgenosse. Und bin einverstanden! Ich dulde kein Bedauern, ich nicht; und unter Zeitdruck stehe ich bei meiner Lebenserwartung auch nicht."

Gebaut hat es der berühmteste der Geigenbauer, Antonio Stradivari, im italienischen Cremona, 1711. 1963 ging es bei einem Fährunglück im Rio de la Plata zu Wasser und zu Bruch. Heute spielt es, Ironie des Schicksals?, Heinrich – Schiff. Das legendäre "Mara-Cello" hat seinen Spitznamen (und eine Macke, ein Echtheitszertifikat gleichsam) von Giovanni Mara (1744–1808), einem bekannten Cellisten und Trunkenbold, berüchtigt auch für andere Eskapaden, selbst Mozart konnte ihn nicht ausstehn. Wolf Wondratschek lässt in seiner Erzählung "Mara" das Instrument selbst seine Geschichte erzählen, als Reise durch Welten und Zeiten, ironisch und humorig, musikalisch wie psychologisch kompetent, als Ich-Erzähler mit den "Unsterblichen" unter den Komponisten und Musikern per Du. Kritischer Zeitgenosse ist es in allen Epochen. Mara hat die Welt mehrfach auf Tourneen umrundet, in wechselnden Händen und Armen. Bei Hofe in England, in Italien, in St. Petersburg, Buenos Aires oder Wien hat es seine großen Auftritte. Es spielt für Könige und Bürger, in Kathedralen, Schlössern, bei Promenadenkonzerten und in modernen Philharmonien. Beizeiten liegt es wartend in seinem Londoner Safe. Ins Unvorstellbare steigern Virtuosen und Banker seinen Wert.

Zwar spielt er kein Stradivari, doch gewiss würde Mara jubilieren, erfüllte sich mit Konstantin Manaev sein sehnlichster Wunsch, "einmal von einem russischen Cellisten gespielt (fast hätte ich gesagt: verwöhnt) zu werden, einem jungen, draufgängerischen, unverschämt begabten Russen". Der durch die GWK und international mehrfach ausgezeichnete Cellist bringt zusammen mit seiner ebenfalls preisgekrönten Klavierpartnerin Hae-Song Jang zu Gehör, wovon die Erzählung spricht. "Dabei geschieht es dann, unsere Träume gehen an Land, stechen in See, greifen in den Himmel."