VERANSTALTUNGEN  
 

Glanzstücke
Klassische Konzerte in der Sammlung des LWL-Landesmuseums
für Kunst und Kulturgeschichte Münster

 
 

„Glanzstücke“ macht vor ausgewählten Glanzstücken des LWL-Landesmuseums Station – mit Konzerten Alter, Klassischer und Neuer Musik, mit Kurzvorträgen zu den Bildern im Fokus und mit deren atmosphärisch dichter Neuinszenierung.

Mehr als bloß Beiwerk, macht die Musik, von Hymnus und Madrigal bis zu Neodada und Nono, die Kunstwerke über das Ohr präsent. Sorgt das Auge eher für den kognitiven Input, so nimmt die Musik den direkten Weg ins Herz. Traum und Alptraum scheinen musikalisch auf, Apokalypse und Paradies, die Existenz in ihren Extremen, Jahrmarkt wie Totenbett, himmlische und erotische Lust. Neben den Bildern und Skulpturen, aber bezogen auf sie, entstehen akustische Welten, in denen die Objekte der bildenden Kunst sichtbarer werden.

Hochkarätige Musikerinnen und Musiker, darunter Preisträger der GWK, konnten für die „Glanzstücke“ gewonnen werden. Die Konzerte finden in den Ausstellungssälen statt sowie im Lichthof und im italienisch eingerichteten Vortragssaal. Zu den ausgewählten Kunstwerken sprechen Kuratorinnen und Kuratoren des Museums.
Die Veranstaltungen werden von Susanne Schulte, GWK, moderiert.

„Glanzstücke“ ist eine Kooperation des LWL-Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte mit der GWK Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit, Münster.

Die Reihe wird unterstützt von der NRW.BANK und von WestLotto.

Eintritt
14 Euro, ermäßigt 10 Euro
Karten im Vorverkauf an der Museumskasse und an der Abendkasse
LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster
Domplatz 10
48143 Münster
Tel: 0251 5907-01

Email: landesmuseum@lwl.org
www.landesmuseum-muenster.de


PROGRAMMÜBERSICHT

 Glanzstücke 1
 
Sonntag, 09.03.2008, 19.00 Uhr
MITTEN IM LEBEN
amarcord

 Glanzstücke 2  
Donnerstag, 03.04.2008, 20.00 Uhr
KÜNSTLICHE PARADIESE
Susanne E. Kirchesch, Sopran / Hendrik Heilmann, Klavier
Les Femmes Fantastiques (Sabine Grofmeier, Klarinette, Emanuela Simeonova, Violoncello)

 Glanzstücke 3
Donnerstag, 24.04. 2008, 20.00 Uhr
MÄCHTIG IM FLUXUS
Simone Seiler, Harfe
Wolfgang Heisig, Phonola

 Glanzstücke 4
Donnerstag, 08.05.2008, 20.00 Uhr
APOKALYPSE UND NEUE RÄUME
Pavel Sokolov, Oboe / Kimiko Imani, Klavier
Suyoen Kim, Violine / Helge Slaatto, Violine

 Glanzstücke 5
Donnerstag, 29.05.2008, 20.00 Uhr
VITA RELIGIOSA – WEIBLICH
ala aurea (Maria Jonas, Gesang, Drehleier, Susanne Ansorg, Fidel)

 Glanzstücke 6
Donnerstag, 19.06.2008, 20.00 Uhr
DI WAJTE HAJMAT MAJNE – MEIN FERNES HEIM
Deutsch-Niederländische KammerPhilharmonie
unter der Leitung von Otis Klöber
Berthold Schmid, Tenor


 


PROGRAMM  
   

Glanzstücke 1
Sonntag, 09.03.2008, 19.00 Uhr
Konzert im Lichthof, LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster

MITTEN IM LEBEN

Musik: amarcord
Madrigale der Renaissance und A-Capella-Songs

 
 

 

 

Theodor Rombouts: Der Zahnbrecher (1628)

Demonstrativ, mit zweideutigem Lächeln, fast schon provokativ blickt der Zahnbrecher von Theodor Rombouts (1597–1637) dem Bildbetrachter ins Auge. Seinen Patienten, einen attraktiven Mann in der Blüte der Jahre, hat er mit einem blutroten Tuch an den Stuhl gefesselt, sein Werkzeug glitzert bedrohlich auf dem Tisch. Wie ein Quacksalber kommt der Helfer daher. Die Umstehenden, zahnlose Alte wie Jüngere mit Lücken und Junge mit strahlendem Gebiss, beobachten höchst betroffen, zugleich voyeuristisch, die brutale, aber notwendige Prozedur. Mitten im prallen Leben erinnert der Zahnbrecher auf dem Jahrmarkt dessen blutigen Ernst: Verfall und Angst, Schmerz, Tod. Rombouts, einer der bedeutendsten niederländischen Caravaggisten, inszeniert in drastischer Figurensprache und expressiver Hell-Dunkel-Malerei eine der gefürchtetsten Alltagssituationen seiner Zeit.

 
   

Mit Madrigalen der Renaissance zum Markttreiben und allem Drumrum (u.a. von di Lasso, Dowland, Morley, Passereau) bringt amarcord die Rombouts’sche Szene zum Klingen. Den Bogen vom Zahnbrecher zum Zahnarzt schlägt und Abstecher in die weite Welt der Berufe macht das Vokalquintett im zweiten Konzertteil mit spritzigen Songs in kunstvollen A-capella-Arrangements.


 
 
Foto: Martin Jehnichen

amarcord
Fünf ehemalige Mitglieder des Thomanerchors in Leipzig sind das Vokalensemble amarcord. Als Repräsentant der deutschen Musikstadt fasziniert das international vielfach ausgezeichnete A-capella-Gesangsquintett in der ganzen Welt. Mit Wolfram und Martin Lattke (Tenor), Franz Ozimek (Bariton), Daniel Knauft und Holger Krause (Bass).
Internet: www.amarcord.de

Vortrag
Angelika Lorenz: Theodor Rombouts’ „Zahnbrecher“

 

   
 

 

 

Glanzstücke 2
Donnerstag, 03.04.2008, 20.00 Uhr
Doppelkonzert, Vortragssaal und Macke-Saal, LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster

KÜNSTLICHE PARADIESE

 
   

KÜNSTLICHE PARADIESE 1

Musik : Susanne Ellen Kirchesch, Sopran / Hendrik Heilmann, Klavier
Hugo Wolf: Mignon-Lieder
Hugo Wolf: Italienisches Liederbuch (Auszug)

 
 

Oswald Achenbach: S. Pietro in Vincoli (1883)

Berühmt (und reich) wurde Oswald Achenbach (1827–1905) mit seinen stimmungsvollen, folkloristisch belebten italienischen Stadtszenen. Die Sehnsucht des Nordens nach dem Paradies wird Bild mit „S. Pietro in Vincoli“. Italien ist das Land des Lichts, aber auch Hort der ewig gültigen Kunst und Kultur. Es entzückt und verzaubert die Phantasie, auch auf dem Gemälde Achenbachs, das den Betrachter magisch in sich hineinzieht. Schauend erfährt er, wie der Italien-Reisende, die Leichtigkeit des Seins und zugleich die ganze Tiefe seiner Seele. Italien ist Projektion, ein künstliches Paradies, das auch und vor allem in der Kunst Wirklichkeit ist. Oswald Achenbach kolorierte subtil und ganz eigenständig. Zunehmend löste er die Farbe vom dargestellten Gegenstand. Der Düsseldorfer Maler wurde so ein früher Wegbereiter des deutschen Impressionismus.

 
   

„Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn, / Im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn, / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, / Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?“ Ergänzt um einen heiter-witzigen Auszug aus seinem „Italienischen Liederbuch“, der allen Schmerz aufhebt, bringen Susanne E. Kirchesch und Hendrik Heilmann die Mignon-Lieder Hugo Wolfs ergreifend auf die Bühne. Der Traum des Komponisten von einer idealen Heimat wird lebendig, wenn Sue Kirchesch mit großer Gesangs- und Schauspielkunst Wolfs schockierend realistisches Psychogramm anfallartiger Leiden darstellt, aber auch ihr weltentrückt tröstliches Ende: „So lasst mich scheinen, bis ich werde.“

 
 

Susanne Ellen Kirchesch und Hendrik Heilmann
Susanne E. Kirchesch studierte an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin bei Anneliese Fried und im Rahmen eines Aufbaustudiums bei Thomas Quasthoff. Die Preisträgerin der GWK und wichtiger Wettbewerbe wurde u.a. von Julia Varady, Wolfram Rieger und Axel Bauni, außerdem von Brigitte Fassbaender betreut. Hendrik Heilmann studierte bei Alexander Vitlin und Susanne Grützmann, ebenfalls an der Hanns Eisler Hochschule. Der Pianist bekam zahlreiche Auszeichnungen, Meisterkurse absolvierte er bei Dietrich Fischer-Dieskau, Thomas Quasthoff, Christa Ludwig und Wolfram Rieger.

Vortrag
Angelika Lorenz: Oswald Achenbachs „S. Pietro in Vincoli“ (1883) und Jakob Philipp Hackerts „Umgebung von Neapel“ (1803).

 
   

KÜNSTLICHE PARADIESE 2

Musik : Les Femmes Fantastiques
Beethoven: Duett Nr. 1 für Klarinette und Violoncello WoO 27
J.S. Bach: Suite Nr. 5 c-Moll für Violoncello solo
Piazzolla: Libertango
Gershwin: Summertime
Fromm-Michaels: Stimmungen eines Fauns für Klarinette solo
Piazzolla: Oblivion
Rimsky-Korsakow: Hummelflug

 
 

Franz Marc/August Macke: Paradies (1912)

Adam und Eva nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies zeigt das Wandbild von Franz Marc (1880–1916) und August Macke (1887–1914) aus dem Mackeschen Atelier. Mensch und Natur sind dargestellt in harmonischer Eintracht. Abstrakt, ist das Gemälde dennoch lesbar. Es entspricht der überkommenen Ikonographie und dem traditionellen Geschlechterkanon: Eva verkörpert die Sehnsucht nach der ursprünglichen Schönheit und die hingebende Empfindung, Adam die energische Selbstbehauptung. Nicht in der Abwendung vom Realen lag für Franz Marc Vergeistigung, Abstraktion, sondern in der dynamischen Durchdringung des Wirklichen. Sein Wort von der „Animalisierung der Kunst“ verbindet Seele und Körperlichkeit. Anima und animal sind, wie Mann und Frau, paradiesisch versöhnt im Bild.

 
   

Lebensfreude pur, vitalste Leichtigkeit und beglückendes Sich-Vergessen verbinden sich in den Glanzstücken der Femmes Fantastiques mit sanft-melancholischer Nostalgie, der sehnsüchtigen Erinnerung an den Garten Eden. Berückend ist das Glück des Paradieses in der Klage um seinen Verlust, im „Seelensound“ von Klarinette und Violoncello gegenwärtig.

 
 

Les Femmes Fantastiques
Les Femmes Fantastiques sind Sabine Grofmeier, Klarinette, und Emanuela Simeonova am Violoncello. Sabine Grofmeier studierte bei Hans-Dietrich Klaus und Frits Hauser in Detmold, bei Stefan Schilling in Graz und bei Eduard Brunner in Saarbrücken. Von Sabine Meyer, Ralph Manno u.a. bekam sie weitere musikalische Anregungen. Die GWK-Preisträgerin erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Emanuela Simeonova studierte in Salzburg bei Wilfried Tachezi und bei Maria Kliegel in Köln, auf ihr Konzertexamen bereitet sie sich bei Young-Chang Cho in Essen vor. Auch Emanuela Simeonova wurde mehrfach ausgezeichnet.

Vortrag
Erich Franz: Franz Marcs und August Mackes „Paradies“


 

   
   

Glanzstücke 3
Donnerstag, 24.04. 2008, 20.00 Uhr
Doppelkonzert, Schloss-Saal und Vortragssaal, LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster

MÄCHTIG IM FLUXUS

 

 
   

MÄCHTIG IM FLUXUS 1

Musik : Simone Seiler, Harfe
Carl Philipp Emanuel Bach: Sonate G-Dur
Louis Spohr: Fantasie c-Moll op. 35

 
 

F.H. Plettenberg: Kurfürst Clemens August von Köln (1755)

Kaum ein Landesherr wurde häufiger dargestellt als er. Im herrscherlich-weltmännischen Gestus, als Kurfürst, Fürstbischof und Hochmeister des Deutschen Ritterordens, als allüberragendes Ich mit höchstem Machtanspruch setzt F.H. Plettenberg Clemens August in Szene. Routiniert gemalt, durchbricht das Bild jedoch, mit der halbprofanen Rittertracht und dem weißen Mantel sowie dem wirkungsvoll darauf platzierten Ordenskreuz, die Stereotypie der üblichen Kurfürstenbilder. Das Portrait dient allein einem Zweck: Es ist bestimmt für einen Raum, in dem es Blickfang ist, den es beherrscht, und mit ihm seine Besucher. Das Bild spiegelt das höfische Lebensklima und ist Teil barocker Repräsentationskunst, die im Zeichen des Absolutismus steht und immer auch eine politische Aussage macht.

 
   

Im 18. Jahrhundert war Harfe „hip“: das Instrument höfischer Selbstinszenierung. Marie-Antoinette, Königin von Frankreich, hatte es in Mode gebracht. Wer in der aristokratischen Damenwelt etwas auf sich hielt, griff selber in die Saiten. Simone Seiler lässt mit C.P.E. Bach und Spohr erfahren, dass die Harfe, als sie nicht mehr nur das galante Lieblingsinstrument des „schönen Geschlechts“ ist, über den Sturm und Drang in romantischer Sehnsucht wieder zur Lyra des Orpheus wird, zum Sinnbild der Musik.

 
 

 

 

Simone Seiler
Simone Seiler studierte bei Gisèle Herbert in Würzburg, Renie Yamahata in Trossingen und bei Godelieve Schrama in Detmold. Derzeit bereitet sie sich auf das Konzertexamen, u.a. bei Jana Bouskova am Königlichen Konservatorium in Brüssel, vor. Die GWK-Preisträgerin 2007 wurde bei renommierten Wettbewerben ausgezeichnet.

Vortrag
Angelika Lorenz: F.H. Plettenbergs „Kurfürst Clemens August von Köln als Hochmeister des Deutschen Ritterordens“, Jean Baptiste Defers „Männlicher Büste mit Allongeperücke“ und Jakobus Matthias Kappers’ „Bildnis Johann Conrad Schlaun“.

 
   

MÄCHTIG IM FLUXUS 2

Musik: Wolfgang Heisig – „Performanze mit Phonola“
Stücke von Frank Zappa, W. Heisig, Tom Johnson, Conlon Nancarrow

 
   

Dieter Roth: Vogelfutterbüste (1969)

Büsten, wie Repräsentationsportraits, macht man von berühmten Leuten. Vorzugsweise werden sie in Marmor gehauen, in Bronze gegossen – Denkmäler zur „ewigen“ Erinnerung an die Portraitierten. Jahrhundertelang bestimmen sie das Bild, das sich die Nachwelt von den großen Toten macht, sie gehen ins kollektive Gedächtnis ein. 1969 goss Dieter Roth (1930–1998), Aktions- und Objektkünstler, Vertreter der Konkreten Poesie, eine seiner berühmten „Vogelfutterbüsten“: ein Selbstbildnis in der klassisch reinen Form der Repräsentationsbüste, doch ganz aus Schokolade. Die Schokolade ist Stoff und Manifest des braunen Objekts „im Fluxus“. Mit Ironie und Witz wird zu „Vogelfutter“ und dabei dem natürlichen Kreislauf einverleibt, was sich tagtäglich dagegen wehrt: das stolze Selbst, jedweder Körper, jedweder Geist. Ein süßes Memento mori, auch für die „Unsterblichen“, die Mächtigen, die Künstler und die Kunst.

 
   

Komisch-ernsthaft, wie die triefende Büste, schillert Wolfgang Heisigs „Performanze“ mit Hupfeld-Meisterspiel-Phonola. Der pneumatische Walzenklavier-Automat von 1908 – also aus dem Gründungsjahr des Landesmuseums – wird vor die Tastatur gesetzt. Mit „Low-Beginning-Holz-Luft-Papier-Muskelkraft“, eben nicht mittels eines „High-End-Computer-Elektronik-Chips-Stroms“, spielt Heisig Stücke auf der Phonola, die auf dem Klavier allein unspielbar sind. „Wie ein Doppeldecker auf einem Düsenjet-Flughafen, der zu spät gelandet ist, aber liebenswert bockig auf seinem Stellplatz beharrt“, wirkt die Phonola laut Süddeutscher Zeitung. „Lochstreifen, mit denen die Phonola gefüttert wird, mimen das Computerzeitalter. Und wirklich: Hier im schütter Unrationalisierten hört man noch ein Herz schlagen, eine Seele schwingt sich zum Flug.“

 
 

Wolfgang Heisig
Wolfgang Heisig entdeckte 1990 die Phonola für sich. Der studierte Pianist und Komponist ist als der führende Phonolaspieler und anarchischer Schrägdenker seriöser Musiker und neodadaistischer „Performanzer“ in eins.

Vortrag
Brigitte Franzen: Dieter Roths „Vogelfutterbüste“ (1969) und „Literaturwurst“ (1967)

 

   
   

Glanzstücke 4
Donnerstag, 08.05.2008, 20.00 Uhr
Doppelkonzert, Innenhof, Brücke-Saal, Serra-Saal, LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster

APOKALYPSE UND NEUE RÄUME

 

 
   

APOKALYPSE UND NEUE RÄUME 1

Musik: Pavel Sokolov, Oboe / Kimiko Imani, Klavier
Pavel Haas: Suita für Oboe und Klavier op. 17 (1939)
Henri Dutilleux: Sonate für Oboe und Klavier (1947)

 
 

Ludwig Meidner: Apokalyptische Stadt (1913)

Bei Ludwig Meidner (1894–1966) zersplittert die Realität. In apokalyptischer Zerstörung explodieren und verbrennen Häuser, wird der Himmel von Energien der Vernichtung zerrissen. Gezeigt wird Bewegung, nicht feste Gegenständlichkeit. Unterm Einfluss der italienischen Futuristen hat sich hier der Pinselstrich von der Form befreit. Ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg ist auch Meidner von den übermenschlich-dynamischen Kräften der Zerstörung begeistert. Als Befreiung von zivilisatorischen Zwängen wurden sie verherrlicht, als Untergang jedoch zugleich gefürchtet. Mag „Apokalyptische Stadt“ 1913 den „thrill“, angenehm-schauerliche Angst-Lust ausgelöst haben, so ist das Bild heute lesbar als Vorwegnahme der großen Initialkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

 
   

Als letzten, fast verzweifelten Ausbruch gegen den NS-Terror verstehen Pavel Sokolov und Kimiko Imani die Suite von Pavel Haas. Wie auf verlorenem Posten kämpft der „Theresienstädter“ Komponist, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde, mit seiner Musik für das Existenzrecht der Verfemten und Verfolgten. Endet Haas’ Suite vom Vorabend der Apokalypse noch im Glauben an das Gute, so lässt Dutilleux nach dem Zivilisationsbruch alle Hoffnung fahren. Leidenschaftlich evozieren Pavel Sokolov und Kimiko Imani die faschistische Brutalität und die Dunkelheit der Welt-danach musikalisch: sein Stück klingt aus in einer offenen Frage.

 
 

Pavel Sokolov und Kimiko Imani
Pavel Sokolov studierte in Moskau und bei Gernot Schmalfuß in Detmold. Der Oboist an der Komischen Oper Berlin ist Finalist und Preisträger zahlreicher Wettbewerbe. Nach ihrer Ausbildung in Japan legte Kimiko Imani bei Anatol Ugorski in Detmold ihr Konzertexamen ab. Die international auftretende Pianistin gewann zahlreiche Wettbewerb in Deutschland und Japan.

Vortrag
Erich Franz: Meidners „Apokalyptische Stadt“ (1913) und Franz Radziwills „Streik“ (1931)

 
   

APOKALYPSE UND NEUE RÄUME 2

Musik
Suyoen Kim, Violine / Helge Slaatto, Violine
Luigi Nono: „Hay que caminar“ soñando für zwei Violinen
Johann Sebastian Bach: Chaconne

 
   

Richard Serra: Faßbinder I (1983) und II (1984)

Kaum entsprechen auch heute Richard Serras „wall-drawings“ der Vorstellung von Zeichnung: „shaped canvasses“, bei denen der Künstler monochromes Schwarz aus Blöcken geschmolzener Ölkreide auf Leinwand auftrug. „Fassbinder II“ machte er speziell für den Ausstellungssaal 229. Die Schwere und Kompaktheit des Schwarz geben der Wandzeichnung, die sich auf Serras Skulptur „Faßbinder“ im Innenhof des Landesmuseums bezieht, eine nahezu materielle Kraft. Die Zeichnung stellt den vorhandenen Raum infrage, strukturiert ihn um, definiert in ihm einen neuen Raum. In „Faßbinder II“ wie in der Skulptur im Hof wird diese Veränderung mit dem gleichnamigen Regisseur, der 1982 starb, verbunden. Verbietet das Schwarz der Zeichnung jedwede Assoziation, so sind durch die Titel und die Position der Skulptur – sie steht schräg und am Rand des Hofes – die Arbeiten doch lesbar: als Symbol für Rainer Werner Faßbinder, vielleicht den Künstler überhaupt, der sich entzieht, und in den gesellschaftlichen Raum interveniert.


 
   

Während Luigi Nonos „<Wir müssen gehen> träumend“ verändern Suyoen Kim und Helge Slaatto ihre Standorte im Raum. Die Musik steht auf langen Fermaten, am Rande der Wahrnehmbarkeit verändert sie sich nur in Nuancen: ein neuer Weg und ein Raum entstehen im Spiel. So erinnert es die „schwache messianische Kraft“, die nach Walter Benjamin ausreicht, „um eine Epoche herauszusprengen aus dem Lauf der Geschichte“. Am 8. Mai 1990 war Luigi Nonos Lebensweg zu Ende. Auf dem Sterbebett hörte er Bach, neben dem Choral „Komm süßer Tod“ vielleicht auch die Chaconne. Die Chaconne ist ein Variationswerk über einem ostinaten Bass, ein hochdifferenzierter musikalischer Organismus, der am Ende wieder in die Ausgangsgestalt führt. Bach löst die Modelle, die eingetretenen Wege auf, um neue zu bahnen.

 
 

Suyoen Kim, Violine / Helge Slaatto, Violine
Helge Slaatto, international gefragter Kammermusiker, ist seit 1993 Professor für Violine an der Musikhochschule Münster und Spezialist für Neue Musik. Suyoen Kim studiert bei ihm. Die Preisträgerin der GWK gewann zahlreiche nationale und internationale Wettbewerbe und arbeitete als Solistin mit renommierten Orchestern und Dirigenten wie Kurt Masur, Eliahu Inbal und Seiji Ozawa zusammen.
Internet: www.suyoenkim.com

Vortrag
Erich Franz: Richard Serras „Faßbinder“ (1982/83) und „Faßbinder II“ (1984)

 

   
   

Glanzstücke 5
Donnerstag, 29.05.2008, 20.00 Uhr
Konzert, Mittelalter-Säle, LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster

VITA RELIGIOSA – WEIBLICH

Musik: ala aurea
Rose van Jhericho. Das Liederbuch der Anna von Köln

 

 
 

Derick Baegert: Der Evangelist Lucas malt die Madonna

Nach einer byzantinischen Legende war der Evangelist Lukas von Beruf Arzt und Maler, und einmal ist ihm Maria mit ihrem Sohn erschienen. Baegerts Bild zeigt keine gewöhnliche Atelierszene, es ist vielmehr eine „demonstratio sacra“. Die festliche Erscheinung der zwei Modelle, Maria und das Jesuskind, und der vornehm gekleidete Maler-Evangelist stellen die Schönheit des Vorbilds und die Echtheit des Gemäldes auf der Staffelei zur Schau. Das Bild behauptet: das Heilige, das Baegert malt, hat er gesehen, sein Bild ist wahr.

 
   

Beeindruckend zeugt das „Liederbuch der Anna von Köln“ (um 1500) vom geistlich-kulturellen Leben des Mittelalters, von der gläubigen Hingabe an Gott und der Verehrung der Gottesmutter im Sinne der „devotio moderna“, ganz verinnerlichter, persönlicher Frömmigkeit. Christus erscheint in mystischen Bildern als geistlicher Weinschenk, Maria als Rose von Jericho. Es wird gemahnt, den Tod zu bedenken, gegen weltlichen Erfolg und die Unbeständigkeit Fortunas werden die Freuden des Himmelreichs besungen.

 
 

ala aurea
Ala aurea sind Maria Jonas, Gesang und Drehleier, und Susanne Ansorg, Fidel. Maria Jonas ist international renommierte Interpretin und Entdeckerin Alter Musik. Sie studierte u.a. bei J. Cash, M. Figuerras, R. Jacobs. Susanne Ansorg studierte an der Schola Cantorum Basiliensis. Sie ist international gastierende Spezialistin für mittelalterliche Musik.

Vortrag
Bettina Marx: Bockhorster Triumphkreuz (ca. 1150), Soester Antependium (ca.1170), Büste der trauernden Maria (1470/80), Strahlenkranzmadonna (1523), Derick Baegert: Lucas malt die Madonna (ca. 1485)

 

 

   
   

Glanzstücke 6
Donnerstag, 19.06.2008, 20.00 Uhr
Konzert, Lichthof, LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster

DI WAJTE HAJMAT MAJNE – MEIN FERNES HEIM


Musik : Deutsch-Niederländische KammerPhilharmonie,
Ltg. Otis Klöber
Samuel Barber: Adagio for Strings
Gilead Mishory: Di wajte hajmat majne. Für Tenor und Orchester, nach Gedichten von Marc Chagall
Pjotr I. Tschaikowsky: Souvernirs de Florence


 
 

Marc Chagall: L’Inspiré. Selbstbildnis vor der Staffelei L’Inspiré (1963)
Chagalls Selbstbildnis ist Poesie, ein „Seelenbild” des Künstlers. Mit der Palette in der Hand sitzt er vor der Staffelei, wie ein Flaschengeist schlängelt sich hinter ihm die längliche Figur des Malers empor. Links unten wohl das Heimatdorf Chagalls, Witebsk. Eine Frau, offensichtlich seine Muse, schwebt über ihm und betrachtet sein Werk. Ein flötespielender Musiker fällt kopfüber ins Bildfeld, ein anderer steht vor der Staffelei und spielt Geige. Chagall zeigt, was ihn inspiriert, und im Wie des Bildes gewinnt seine Inspiration selbst Gestalt. Der Künstler sieht sich als Beschenkter: er verneigt sich vor seiner eigenen Schöpfung und vor seinem Schöpfer.

Nor jene land is majne
Woss gefint sich in majn neschome;
Wi an ejgener, on papirn,
Gej ich in ir aarajn.

 
   

„Nur jenes Land ist meines, / das in meiner Seele liegt. / Als Einheimischer, ohne Papiere, / betrete ich es.“ Wenigen ist bekannt, dass Chagall immer wieder Gedichte geschrieben hat, alle in seiner Muttersprache, Jiddisch. Poetisch spiegelt er seine Lebenssituation, spricht bildreich von Liebe und Tod, Gott und Glaube, aber auch über sein malerisches Schaffen und die Quellen seiner Inspiration. Den Freiburger Komponisten Gilead Mishory faszinierte die emotionale Kraft und Ursprünglichkeit dieser Poesie. Chagalls langes autobiographisches Gedicht „Di wajte hajmat majne“, das 1937 in der Zeitschrift „Tsukunft“ veröffentlicht worden war, und spätere Gedichte des Malers legte er seiner Komposition für Tenor und Orchester zugrunde, die 2007 in München uraufgeführt wurde. Gilead Mishory wurde 1960 in Jerusalem geboren, studierte an der dortigen Rubin-Akademie Klavier, bevor er auf Empfehlung von Alfred Brendel nach München und Salzburg ging. Heute ist er Professor für Klavier an der Freiburger Musikhochschule. (www.mishory.de)

 
 

Deutsch-Niederländische KammerPhilharmonie, Ltg. Otis Klöber
Klangliche Transparenz und musikalische Intensität zeichnen die Deutsch-Niederländische KammerPhilharmonie unter Leitung von Otis Klöber aus. Das Ensemble gastiert auf internationalen Podien und bei renommierten Festivals. Es hat das mit dem ARD-Preis gekrönte Faust-Quartett an den ersten Pulten und zahlreiche Erste-Preisträger internationaler Wettbewerbe in seinen Reihen.
(www.dn-kammerphilharmonie.com)

Berthold Schmid
Der Tenor, international erfahrener Opern-, Lied- und Oratoriensänger, ist nach Stationen in Freiburg, Karlsruhe, Nürnberg, Stuttgart und Dortmund Professor an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. (www.berthold-schmid.de)

Vortrag
Martin Henning: Chagalls „Inspiré“ (1963) und „Selbstbildnis Marc Chagall“ (1930/31) aus dem Portraitarchiv Diepenbroick