ARCHIV 2003  
 

"Rede, daß ich Dich sehe!"
Schriftsteller und Musiker im Dialog mit Johann Georg Hamann

 
 

Johann Georg Hamann
(1730 Königsberg - 1788 Münster)

 
  Vita

Königsberg 1730-56: Sohn eines Baders und Wundarztes - Studium der „Rechtsgelehrsamkeit zum Schein“, exzessive Lektüre philologischer und philosophischer Schriften - Hauslehrer auf baltischen Gütern

Riga/London 1756-58: Angestellter beim Handelshaus Berens in Riga - mit handelspolitischem Auftrag in London gescheitert - Bohemien überm Abgrund, ein schwuler Junker hält ihn aus: „Ich war der Verzweiflung nahe und suchte in lauter Zerstreuungen selbige zu unterdrücken. Ich fraß umsonst, ich soff umsonst, ich buhlte umsonst, Völlerei und Nachdenken, Lesen und Büberei, Fleiß und üppiger Müßiggang wurden umsonst abgewechselt. Ich änderte fast monatlich meinen Aufenthalt, ich fand nirgends Ruhe.“ - Bekehrung beim Lesen der Bibel: „Ich vergaß alle meine Bücher darüber, ich schämte mich, selbige gegen das Buch Gottes jemals verglichen zu haben. Ich erkannte meine eigenen Verbrechen in der Geschichte des jüdischen Volks, ich las meinen eigenen Lebenslauf.“

Königsberg 1759-87: Schriftsteller und Publizist als Kreuzes-Philologe, als Diener des göttlichen Wortes, Denker der Sprache und des Geschlechts, Kritiker abstrakter Vernunft und Advokat der Individualität - wilde Ehe mit Anna Regina Schumacher, vier Kinder - Zollbeamter im Königsberger Hafen - Zollbeamter am Freihafen und „homme de lettres“ , Armut: „...in meinem Haus, wo alles wüste, verstört ist - und kein halbes Dutzend ganzer Stühle. Ich bin auch in meinem ganzen Leben zu keinem ordentlichen Anzuge de cap a pied gekommen, habe umsonst bisweilen Versuche gemacht, dies zu erreichen“ - Ruhm: als „Magus in Norden“ im deutschen Sprachraum verehrt.

Westfalen 1787-88: bei Friedrich Heinrich Jacobi in Pempelfort, Franz Kaspar Bucholtz und Fürstin Amalie von Gallitzin in Münster: „Ich lebe hier im Schoße der Freunde von gleichem Schlage, von gleichem Gelichter und die sich wie Hälften zu meinen Idealen der Seele passen. Ich habe gefunden und bin meines Fundes so froh, und wenn es einen Vorgeschmack des Himmels auf Erden gibt, so ist mir dieser verborgene Schatz, diese köstliche Perle zu Teil geworden.“ - Tod am 21.06.1788 in Münster

 
 
   
  Werk 

Als „radikaler Aufklärer“ (Oswald Bayer) stand Johann Georg Hamann zur Aufklärung in Widerspruch. Der philosophische Schriftsteller aus Königsberg, der in Münster starb, gilt als einer der anregendsten und provokantesten Querdenker im "Laboratorium der Moderne" (Hans-Ulrich Thamer). Goethe verehrte ihn als "den hellsten Kopf seiner Zeit", die Intellektuellen jener Jahre machten ihn als den "Magus in Norden" zur Kultfigur. Hamann wirkte auf Herder, Wackenroder und Tieck, von Arnim und Brentano, auf Jean Paul und Kierkegaard, auf Grillparzer, Jünger, Bobrowski, Eich u.a. Unter avancierten Autoren ist er bis heute ein Geheimtipp.

„Rede, daß ich Dich sehe! -- Dieser Wunsch wurde durch die Schöpfung erfüllt, die eine Rede an die Kreatur durch die Kreatur ist.“ Hamann erkennt Sprache und Sprechen als Grund und Medium der Existenz. „Rede, daß ich Dich sehe!“ ist ein Kernsatz seines Denkens. Die Welt ist ins Sein gesprochen durch das göttliche Wort: „Gott ein Schriftsteller!“ Die Natur ist Buch, in ihr sowie in den Texten der Geschichte und der Bibel offenbart Gott sich den Menschen. Vernunft ist Sprache, Erkennen ist Lesen und „Reden Übersetzen - aus einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heißt, Gedanken in Worte, - Sachen in Namen, - Bilder in Zeichen“.

Hamann bejaht Leiblichkeit, Sinnlichkeit, Zeitlichkeit und insistiert auf einem ganzheitlichen Konzept der Person. Jedes Ich hat seine „genaueste Lokalität, Individualität und Personalität“. Es ist ein lebendiger Widerspruch aus Körper und Geist, der nicht aufgehoben und von dem nicht abstrahiert werden darf. Hamann, Melancholiker, hat eine solche Subjektivität gelebt: „Ich bin das wunderbarste Gemisch von extremis“.

Hamann ist enzyklopädisch belesen. Als Autor ist er zuallererst Leser. Seine Grundhaltung ist ironisch und burlesk, das Cento seine Form. Zitat und Anspielung, Bild und Metapher, Spott und Parodie kennzeichnen seinen Stil. Als Denker ist der Magus Kritiker und Dichter. Er verkündet die regellose Freiheit des Genies, leidenschaftlich, voller Esprit schreibt er gegen die abstrakte, von Sinnlichkeit gereinigte Vernunft und gegen jegliches System.

 
 
 
   
  Bibliographie Johann Georg Hamann - Originaltexte in Auswahl  
   

JGH: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Josef Nadler. Bd. 1 - 6. Thomas Morus Presse im Verlag Herder, Wien 1949-1957 (Reprint 1999, Antiquariat Willi, Tübingen, R. Brockhaus, Verlag Wuppertal)

JGH: Briefwechsel. Bd. 1 - 3 hg. von Walther Ziesemer und Arthur Henkel; Bd. 4 - 7 hg. von Arthur Henkel. Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1955 - 1979.

JGH: Briefe. Ausgewählt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Arthur Henkel. Frankfurt a.M. 1988.

JGH: Sokratische Denkwürdigkeiten. Aesthetica in nuce. Mit einem Kommentar hg. von Sven-Aage Jörgensen. Stuttgart 1968.

Insel Almanach auf das Jahr 1988. Hamann. Hg. von Oswald Bayer, Bernhard Gajek, Josef Simon. Frankfurt a. M. 1987.

Vom Magus im Norden und der Verwegenheit des Geistes. Ein Hamann-Brevier. Mit einem Nachwort hg. von Stefan Majetschak. München 1988.

JGH. Eine Auswahl aus seinen Schriften.Entkleidung und Verklärung. Hg. von Martin Seils. Wuppertal 1987 (2. Auflage)

JGH: Schriften zur Sprache. Einleitung und Anmerkungen von Josef Simon. Frankfurt a.M. 1967.

 
       
    Ausführliche Informationen zu Hamann im Internet:
www.johann-georg-hamann.de