ARCHIV 2002
 

Hendrik Jackson und Sabine Scho : "Eiserne Welt?"
Zwei Vorträge zu Josef Winckler im Rahmen der Ausstellung
“Das Doppelgesicht der Großstadt. Carlo Mense, Josef Winckler
und die Werkleute auf Haus Nyland”

Westf. Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster
Freitag, 12.07.2002, 19.00 Uhr

 

Wer Anfang des Jahres die kritischen Essays der jungen Autoren Sabine Scho und Hendrik Jackson in Rheine-Bentlage nicht hören konnte, kann nun das Versäumte in Münster nachholen.

1913 stellte der in Rheine geborene Maler Carlo Mense den Lebensraum dar, der die Umwälzungen um 1900 wie kein anderer geprägt hatte: die Großstadt. Mense widmete sich damit einer Thematik, die zeitgleich Berliner Expressionisten wie Kirchner und Meidner beschäftigte. Zwischen der hymnischen Feier des neuen Stadtmenschen und der apokalyptischen Vision vom Untergang des neuen “Babel” versuchten Meidner, Kirchner und eben auch Mense, das Erlebnis “Großstadt” auszuloten. Carlo Mense schuf dabei als einziger vor dem Krieg einen druckgrafischen Zyklus, der das Thema in mehreren Bildern umkreist. Angeregt wurde Mense durch den Dichterbund der “Werkleute auf Haus Nyland”, vor allem durch den ebenfalls in Rheine geborenen Josef Winckler.

Winckler versuchte in seinen “Eisernen Sonetten” die für Deutschland noch neuen Phänomene “Industrie” und “Großstadt” literarisch zu erfassen. Während jedoch Winckler in seinen Sonetten kraftstrotzende Maschinen und Tatmenschen feiert, nähert sich Mense dem Thema aus verschiedenen Perspektiven und zeigt ein ambivalentes Bild der Großstadt.

Die zehn Radierungen von Menses Graphikmappe sind erst seit kurzem in einem einzigen Exemplar greifbar und werden zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert - zusammen mit Zeichungen und Graphiken anderer Expressionisten wie August Macke, Ludwig Meidner oder Ernst Isselmann.

Josef Winckler ist den meisten als Autor von “Der tolle Bomberg” und “Doctor Eisenbart” bekannt. Dass er mit seinem expressionistischen Zyklus “Eiserne Sonette”, der 1914 in der renommierten Insel-Bücherei erschien, die erste zusammenhängende Industriedichtung in deutscher Sprache veröffentlichte, weiß heute kaum jemand.

Die Schriftsteller Sabine Scho und Hendrik Jackson haben die “Eisernen Sonette” und Wincklers Prosaband “Trilogie der Zeit” gelesen. Die beiden Lyriker, die heute so alt sind wie Winckler, als er seine Sonette verfasste, reagierten auf dessen Texte mit zwei Essays, die die pathetisch glühenden Sätze und Verse des Expressionisten vor dem Hintergrund der literarischen Produktion seiner Zeit und im Hinblick auf die Zeitgeschichte stilistisch und ideologiekritisch unter die Lupe nehmen. Herauskamen zwei differenzierte Verrisse, jeder für sich ein spannendes Stück neuer Literatur, das die Autoren im Landesmuseum vortragen.

Sabine Scho (*1970), die in Münster studierte und als freie Autorin in Hamburg lebt, erhielt 2001den Förderpreis des Landes NRW sowie den Förderpreis beim Ernst-Meister-Preis, 2000 den GWK Förderpreis Literatur. Ihr erster Gedichtband trägt den Titel “Thomas Kling entdeckt Sabine Scho” (Europa Verlag).

Hendrik Jackson (*1971), der in Münster aufwuchs und in Berlin studierte, lebt ebendort und in Köln. Er ist als freier Autor und Übersetzer aus dem Russischen tätig und veröffentlichte mit “einflüsterungen von seitlich” (Morpheo Verlag) seinen ersten Gedichtband. 2002 bekam er das Rolf Dieter Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln.