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"2.
Hörster Fensterschau"
Hörsterstraße
und Bült, Münster
13. 09. - 22. 09. 2002
Bettina
Dettmer, Ralf Emmerich, Renate Frerich, Thomas Gerhards, Dirk Hennig, Stephan
Homann, Esther Horn, Jung A Kim, Maike Kloss, Ruppe Koselleck, Timo Kube, André-Philip
Lemke, Helmut Wille
Die 2. Hörster
Fensterschau lädt zu einem besonderen Stadtbummel ein. 13 aus- gewählte
Künstler bespielen mit Installationen und Bildern die Geschäfte der
beiden Straßen. Die Geschäftswelt wird zum Kunstraum. Die gewöhnliche
Wahrnehmung der Auslagen, des Auswählens und Kaufens, wird gebrochen, kritisch-ironisch,
spielerisch und verspielt, mit Ernst oder mit Humor. Ihrer Einführung begann
Susanne Schulte mit einer kleine Philosophie des Schaufensters:
Was, meine
Damen und Herren, ist eigentlich ein Schaufenster? Was ist eine Fensterschau?
Das Schaufenster ist ein zweideutiger Ort. Zunächst und ganz offensichtlich
ist das Schaufenster ein Grenz- und Übergangsbereich zwischen dem Geschäft
drinnen und der Straße draußen, zwischen einem als halböffentlich
definierten Innenraum und dem öffentlichen Außenraum. Das Schaufenster
ist also ein Zwischenraum, es markiert die Grenze zwischen der Ware und dem Kunden,
zwischen dem Verkäufer und der Kundin.
Im Schaufensterraum liegen unsere Bedürfnisse und unsere Sehnsüchte
vor uns, zu Dingen und Dingern geworden. Das Schaufenster zeigt uns uns selbst
in den Objekten, die wir brauchen und begehren, auch wenn sie nicht auf unsere
wirklichen Bedürfnisse antworten. Aber wer will schon, für jedermann
und jedefrau verbindlich sagen, was ein wirkliches Bedürfnis
ist? So stellt sich vor fast jedem Fenster auch diese Frage neu.
Das Schaufenster ist weiters, mit seiner Scheibe, die reflektiert, im ganz wörtlichen
Sinn ein Spiegel. Wir sehen uns immer in der Scheibe auch selbst. In den Gegenständen,
die es zeigt, ist das Schaufenster aber vor allem ein Spiegel im übertragenen
Sinn: ein Spiegel unserer selbst, als individuelle Persönlichkeiten wie auch
als Mitglieder eines Kulturkreises - d.h. ein Schaufenster spiegelt einen spezifischen
Aspekt der Kultur, nicht ihre ganze Breite, sind doch die Geschäfte in der
Regel auf einen bestimmten Produktkreis, eine Sparte, spezialisiert, zumeist auch
auf ein bestimmtes Qualitätsniveau.
Das Fenster, der Schauraum des Fensters ist ein Show-Raum. Das Schaufenster bietet
eine Show. Hier werden unsere Bedürfnisse und Sehnsüchte, auch nächtliche,
private und intime (im Rahmen des Schicklichen natürlich) ganz öffentlich.
Je nachdem, wer ich bin, finde ich mich in der Auslage wieder, identifiziere ich
mich mit dem Gezeigten. Dann hat es für mich etwas (oder viel) von Selbstverständlichkeit,
Normalität. Oder aber ich distanziere mich von dem, was ich sehe, betrachte
es mit Abscheu und Verachtung, verurteile es als anomal, kitschig, abstrus oder
sonstwas, klebe an ihm aber irgendwie trotzdem mit dem Blick - und werde zur Voyeurin,
zum Voyeur. In jedem Fall aber bestätige ich mich selbst. Denn: was im Schaufenster
liegt, erscheint mir als irgendwie normal und ich mir damit auch, wenn mir das,
was da liegt, gut gefällt; oder aber ich fühle mich normal, gerade weil
mir die Auslage fremd ist und ich mich abgrenze gegen sie. Vor dem Schaufenster
versichere ich mich meiner Identität und Normalität. Gründet darin
vielleicht die Lust am Schaufensterbummel?
Andererseits sind im Schaufenster unsere ganz individuellen Bedürfnisse und
Sehnsüchte nicht nur einfach zu Gegenständen, sondern sie sind zu Konsumgütern,
zu Waren geworden. Waren sind Dinge, insofern sie käuflich sind. Ist ein
Ding für mich Ware, heißt das, ich habe eine gewisse emotionale Distanz
zu ihm und es ist in einen abstrakten Preis übersetzt. Der Preis macht dann
alles vergleichbar und damit irgendwie gleich, weil ja alles seinen Euro kostet.
Und der ist verbindlich und objektiv, nicht individuell und subjektiv. Die Ware
hat einen Preis oder einen Marktwert, der aber mit ihrem ideellen Wert oder ihrem
Gebrauchswert nur wenig zu tun hat.
Das dekorierte, das gut, einem Bühnenbild vergleichbar, inszenierte Show-Schau-Fenster
nimmt der Ware nun aber genau diesen Warencharakter wieder (weg). Es rücküberführt
den abstrakten Geldwert, den Preis, eines Dings in einen ideellen Wert. Im Schaufenster
bekommt das ausgepreiste Ding ein attraktives Ambiente, das ihm eine Bedeutung
verleiht, die mich anspricht. So suggeriert das Show-Fenster mir einen intimen,
ganz persönlichen Bezug zum Gegenstand, so als ginge es nicht darum, diesen
zu verkaufen, sondern als ginge es dabei um mich. Was ich sehe, kann ich soz.
libidinös besetzen - bei einer bloßen Ware gelingt das wohl nur schwer.
Der Gegenstand im Schaufenster zeigt sich, als wäre er immer schon Objekt
meines Begehrens. Indem ich ihn anschaue, spüre ich mich selbst. Liegt auch
darin etwas von der Lust des Schaufensterbummels begründet?
Auf diese Weise verspricht das Schaufenster Glück. Die inszenierte Ware springt
mich an mit dem Versprechen: Im Kauf, im Konsum, im Besitz liegen Erfüllung
und Lust. Doch zugleich nehme ich das Fenster als Demarkationslinie wahr. Es markiert
die Grenze des Besitzes und meine persönliche Grenze. Denn der begehrte Gegenstand
liegt ja hinter der Scheibe und diese ist, für uns alle wohl zu oft, ein
unsichtbares, doch umso schmerzlicheres Nein. Wir können den Preis nicht
bezahlen oder wir sind gezwungen auszuwählen, zu entscheiden ob nur dies
oder allein das.
Damit aber sind wir wieder bei uns selbst, bei der Frage: Was ist uns seinen Preis
wert? Und bei der Frage: Wozu kann ich das Ding gebrauchen? Bei der Rückübersetzung
mithin der Ware in einen Gegenstand von Bedeutung, ein Objekt unseres nicht manipulierten,
authentischen Begehrens, des Show-Fensters in ein Schaufenster, das Möglichkeiten
eröffnet, nicht Bedürfnisse und Identität diktiert. Und damit sind
wir auch bei der 2. Hörster Fensterschau, die uns in ihren einzelnen
Präsentationen nämlich die Möglichkeit gibt, über genau die
genannten Aspekte - und natürlich über noch viel mehr, all das, was
sich Ihnen außerdem noch erschließt - nachzudenken. Und der Kaufmannschaft
sei an dieser Stelle für ihren Mut noch einmal herzlich gedankt und für
das Bekenntnis zu Werten und Wert, das in der Einladung von Künstlerinnen
und Künstlern zu dieser Fensterschau auch beschlossen ist. -
Die Fensterschau gibt Anstöße, über die Institution
Schaufenster lustvoll zu reflektieren.
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