ARCHIV 2000
 


Insook Ju

Städtischen Galerie Haus Eichenmüller, Lemgo
19.3.-16.4.2000

 
 

1999/2000 bekam Insook Ju (Münster/Düsseldorf) das "Stipendium Junge Kunst der Alten Hansestadt Lemgo". Zum Abschluss ihres einjährigen Aufenthaltes war eine Ausstellung der Künstlerin in der  Städtischen Galerie Haus Eichenmüller zu sehen. Dazu erschien unter dem Titel "Vom Wahren des Gesichts" ein Katalog mit CD Rom, den die GWK förderte. Im Mittelpunkt der Arbeit der koreanisch-deutschen Künstlerin steht das Thema der eigenen, weiblichen Identität.

Im Katalog heißt es über die Arbeiten der 1966 in Seoul geborenen Künstlerin, die an der Kunstakademie Münster Meisterschülerin von Prof. Paul Isenrath ist:

 

 
        
     
 

Aktzeichnungen, Studien des weiblichen Körpers am fremden Modell, waren das Vorspiel. Akademisch gekonnt bildete Insook Ju die bekannten Vorgaben ab. [...] Das soziale Gebot der Heimat, das Innre, Eigene zu verbergen, wirkt fort in der Konventionalität: im Naturalismus der Darstellung wie in der Inszenierung des Motivs in männlicher Sicht und in der künstlerischen Technik selbst. Vorschriftsmäßig wahrt die junge Frau aus dem konservativen Elternhaus in Südkorea das Gesicht mit den Akten, die sie kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland gezeichnet hat.

 
       
  Die Künstlerin Insook Ju beginnt mit der "Symphonie der Liebe" (1991). Hier sprengt das existenzielle Thema die traditionellen Formen der Malerei und des Bildes. Die anerzogenen Normen der Äußerung sind außer kraft in dieser Serie von Collagen, reliefartigen Gebilden aus Papier, Pappe, Strohhalmen, die in nahezu ungetrübten Grundfarben, mit dominierendem (weiblich-männlichem) Rot-Blau-Kontrast, bemalt wurden. [...]  
     
  Die "Symphonie der Liebe" fällt aus dem Rahmen, die Konventionen verlieren das liebende Ich. Der Kopf, symbolischer Ort rationaler Kontrolle und Ordnung: der Herrschaft des Brauches über das Ich, des Intellekts über den Leib (die Gefühle der Seele und des Körpers), des Außen über das Selbst (das als nichtsprachlich gedachte tiefste Innre), auch des männlichen über das weibliche Paradigma, ist in den ungezähmten Collagen entmachtet. [...] Geist und Geschlecht, Kopf und Leib zeigen sie symbolisch als eins, das Ich als in sich selbst, Mann und Frau als miteinander in spannungsreicher Kontrastharmonie vereint. [...] So entstehen 'musikalische' Kunst-Figuren, eine subjektiv-expressive ästhetische Formensprache und darin ein selbst-bewußtes Ich: "Meine Arbeiten", so die Künstlerin, "sind mein Leben". Keine ästhetische Probehandlung in einem symbolischen Abseits geschah, sondern eine reale gesellschaftliche Aktion. Kunstmachen ist Lebensinhalt und -sinn, Kunst das ausgezeichnete Medium der persönlichen Integrität, Identität. [...]  
     
   
     
 

Identität ist Aufgabe und Problem. "Ich verstehe mein Spiegelbild und die Art, wie ich mich kleide und schmücke, nicht nur als etwas mir Äußerliches, sondern auch als etwas sehr Persönliches." Insook Jus "Doppelbilder" sind Blicke in den Spiegel. [...] Das Ich entsteht an der Naht-Stelle von Individuum und Gesellschaft, als Aufgabe der Vermittlung von Rolle und Selbst. Wo sie gelingt, ist ein eignes Gesicht. Weil sie das Problem ist, bleiben die Gesichter, wo ein Kopf ist, leer. Doch die Kleidung spricht, hat Gesicht. Sie ist die ausgezeichnete Metonymie des Ich und zugleich Metapher des Identitätsproblems, der Schuh aber das signifikanteste Stück: Man wählt ein Paar von der Stange und läuft es ein, bis es der Trägerin, und einzig ihr, wie angegossen paßt oder man wirft es fort, wenn der Schuh einen drückt. Die wechselweisen Abhängigkeit von Rolle und Selbst, ihre gegenseitige Prägung (als Prozeß und Resultat), zeigt das Bild mit Füßen und Schuh. [...]

Doch niemand wählt sich das allererste Paar Schuh, dann jedoch viele und nur möglicherweise auch das letzte selbst aus. Und ziehn wir es aus, zeigen die Füße ihre durch's Schuhwerk geprägte Form: Die Trennung von Innen und Außen funktioniert theoretisch, praktisch hingegen ist sie Fiktion. Schon unser Selbst, das ganz Eigne, Innre, der Leib ist kulturell geprägt; das gilt auch für den Geist, der sprachlich verfaßt ist. Die Vokabeln der Welt- und seiner Selbst-Erfahrung gibt das Sprachsystem jedem Ich vor - immer schon steckt sein Körper in einem Body. Dies Signifikantenkorsett bemerkten und reflektierten wir nicht, wenn Kunst und Philosophie uns es nicht vor Augen führten, doch sie erinnern uns auch, dass wir nicht aufgehn in einer Geprägtheit. Von der Sprache geformt, sind wir im konkreten Sprechen immer zugleich Subjekte. Aus unsrer Individualität heraus gestalten wir jeweils kreativ die Signifikate der Wörter, die wir gebrauchen, und bewegen damit das Sprachsystem insgesamt. Und wenn's opportun ist, springen wir in ein andres hinein: Das metonymisch, in Füßen und Schuh, seinem Schritt, angerissene Ich des "Doppelbilds 2" zieht seinen alten Schuh aus und geht barfuß, später eventuell neu beschuht, in Gegenrichtung davon, aus dem fertigen Bild, diesem Rahmen hinaus, in ein andres Bild, nicht ins Offne - daran läßt die Rückseite des Doppelbilds mit dem dicken grünen Rahmen keinen Zweifel - hinein. [...]

 
     
     Geniessen 3. 1968  
     
  Das "Doppelbild" ist die Grundfigur der Kunst Insook Jus. Identität ist darin als ein Problem problematisiert, das sich im Leben nicht löst. Die Konvention macht Vorschläge, ihm auszuweichen. Diese Muster sind männlich, ihre Struktur ist das Zerreißen der Spannung: entweder wird die Rolle oder das Selbst, der Signifikant oder das Signifikat, der Body oder der Körper bzw. der Schuh oder der Fuß verabsolutiert vor der Fiktion, sie seien voneinander unabhängige Größen. Unter weiteren Metaphern behandelt Insook Ju diese Fluchten: In der spiralförmigen, an eine DNS-Struktur erinnernden Installation mit Flaschen, auf deren Etiketten im Barcode der Name der Künstlerin und die Ausstellungsdaten stehen: "Insook JU 2906-2809-1997" (1997), ist das Innere Luft, Nichts. Die Metapher des Ausweichens ist zugleich die des funktionierenden Rollendiktats: die Frau ist, Frauen sind Nichts. "Genießen 3" (1998), "noch eine Säule und noch eine Säule, umgekippt" (1997) und "Miteinander schlafen" (1996) handeln kritisch von der Regression in das Selbst, der Identifizierung des Ich mit dem Leib im 'kopflosen' Genuss, der männlichen Variante der Flucht: Kondome, Bananen, umgefallene Säulen. [...]  
       
 
 

Der Depression steht die utopische Selbst- überhebung des manipulierenden Eingriffs in die menschliche Konstitution durch HighTech ("Kopf 1-5", 1998) entgegen wie die negative Utopie der genetischen und sexuellen Determiniertheit des Ich in "Konservierte Identität" (1997). Sitzt hier die Frau, Insook Ju, unterm Sperma im Eisschrank, so wird dort ihr Kopf am Computer manipuliert: Der Mann sitzt noch immer am Drücker. In seine Welt dringt die Künstlerin ein, indem sie sich in ihren Arbeiten reflektiert, weibliche Techniken in die Kunst hineinträgt und sich die männlichen aneignet in ihrem Sinn. [...]

Text: Susanne Schulte

 

 


 Konservierte Identität. 1997-2000

 
 
 
    Insook Ju:
  Vom Wahren des Gesichts.
  Katalog mit CD-Rom.


  Sie können den Katalog über die GWK beziehen.